Segel setzen, in die große Freiheit segeln und abends mit einem Gin Tonic in der Hand den Sonnenuntergang beobachten und dabei den selbst gefangenen Fisch über dem Feuer grillen. So hatte ich mir unser Segel-Sabbatical vorgestellt, zumindest fast. Die ersten drei Wochen auf dem Boot hielten jedoch Anderes für uns bereit.
Die Hitze – bis zu 46 Grad Celsius unter Deck – lähmte mich. Oft hatte ich das Gefühl, ich könne nicht mehr klar denken, dabei präsentierte uns Mabul immer neue Probleme: Ein lecker Wassertank, Lecks im Motorraum, einen nicht funktionierenden Dinghy-Lift (Halterung für unser Beiboot)… War ein Problem gelöst, folgten drei neue.
Wir haben zwei 300 Liter Tanks für unser Frischwasser. Einer davon leckte… Auch wenn das Leck schon alt sein muss und sicher bereits vor dem Kauf bestanden hatte, wussten wir bei Kaufabschluss nichts davon. Der Vorbesitzer sagte nichts und da der über 30jährige Edelstahltank beim Sea Trial leer war, konnte Alex das Leck auch nicht erkennen. Der Tank lag zudem unter einem festgeschraubten Brett, unter dem Bett der Master cabin. Als Alex das Leck nach dem Kauf entdeckte, wäre es am einfachsten gewesen, den Tank vom Boot an Land zu bringen und in einer Werkstatt schweissen zu lassen. Das ging jedoch nicht: Beim Bootsbau wurde zuerst der Tank eingesetzt und dann das Deck daraufgesetzt. Er ist schlichtweg zu groß, um ihn aus der Kabine und aus dem Boot tragen zu können. Wir mussten nach anderen Lösungen suchen….wie diese aussahen, könnt ihr in unserer zweiten BoatCast Episode nachhören.
Ein Boot ist ein Projekt, eine Aufgabe für Bastler, Technikbegabte, Ingenieure, Leute wie Alex. Ich sehe mich zur Zeit noch in einer Art Assistentinnenrolle, was unsere Bootsprojekte anbelangt. Mit dem Umzug auf’s Boot hat sich dementsprechend auch unsere Beziehungs-Dynamik verändert. Die letzten Jahre habe ich gearbeitet, war schon länger in Asien und kannte mich dementsprechend besser aus. Jetzt auf einmal ist Alex im Lead, er lebt schon länger auf dem Boot und hat sich eingehend mit der Bootsmechanik beschäftigt, zudem ist er Ingenieur. «Die Bootswelt ist eine Männerwelt», höre ich immer wieder bei Begegnungen mit anderen Cruisern und ein Blick auf unsere Nachbarboote oder die Werft bestätigt das nur. Es gibt viele Männer, die alleine auf einem Segelboot leben, aber fast keine Frauen, die dieses Abenteuer alleine angehen. Und wie ich schnell merkte: Die Rollenaufteilung ist bei der Mehrzahl der Cruiser-Paaren, die wir bislang getroffen haben, klassisch: Er ist der Skipper und für die Reparaturen am Boot und das Segeln verantwortlich, sie organisiert das Leben rundherum. Bei uns sieht das im Moment noch nicht anders aus: Während Alex kaputte Schläuche und rostige Schrauben ersetzt, backe ich Brot, bzw. lass James, unseren Backautomat arbeiten, organisiere Get Togethers und Landausflüge. Während Alex ganze Tage auf dem Boot verbringen und sich mit den Bootsprojekten beschäftigen kann, stellt sich bei mir nach wenigen Tagen eine unangenehme Klaustrophobie ein, wenn ich keinen Fuss an Land setze oder keine anderen Menschen sehe. Das Leben auf dem Wasser, das ständige Schaukeln, der enge Raum gehört definitiv zu den größten Lebensumstellungen, die ich in den letzten Jahren hatte, noch muss ich den Rhythmus für dieses Leben finden.
Apropos Landausflug. Gemeinsam mit einigen unserer Bootsnachbarn machten wir diese Woche unseren ersten großen Inselbesuch. Während wir bislang vor allem die Segelläden, Baumärkte und Shoppingzentren besucht hatten, führte uns Tourguide Cutty einen Tag über die Insel, zeigte uns Muskatnuss-, Zimt-, Mango- und Avocadobäume, führte uns durch die älteste Rumbrennerei, die seit 240 Jahren mit einem Wasserrad betrieben wird und in eine Schokoladenfabrik, wo der lokale Kakao zu dunkler Schokolade verarbeitet wird. Auch standen wir auf der Klippe, die heute als Carib’s Leap bekannt ist, und von der die letzten Ureinwohner der Insel, die Caribs, vor ihren französischen Verfolgern in den Tod gesprungen sind. Hinter jeder sonnenverwöhnten, karibischen Insel verbirgt sich eine blutige, koloniale Vergangenheit. Grenada beispielsweise wechselte mehrmals zwischen den französischen und britischen Kolonialisten die Hand. Im 18. Jahrhundert verschifften die Briten eine große Zahl von Sklaven aus Afrika nach Grenada. Hier wurden sie gezwungen in den Zuckerrohrplantagen zu arbeiten.
Alle paar Hundert Meter hielt Cutty den Wagen an, um wieder ein Blatt, eine Frucht oder ein Stück Rinde von einem Baum zu brechen und uns zu erklären, zu welchem medizinischen oder kulinarischen Zweck sie gebraucht wird. Kein Wunder heißt diese Insel, mit ihren klaren Vulkanseen, ihrem Regenwald, der sich in allen erdenklichen Grüntönen präsentiert, und ihren Stränden, Hügelzügen und Gärten auch Spice Insel, Gewürzinsel. Nach Tagen auf dem Boot war dieser Landausflug eine willkommene Gelegenheit, um zu tun, was Segeln für uns eigentlich sein soll: Eine Möglichkeit, andere Welten zu entdecken. In unserem dritten BoatCast beschäftigen wir uns genau damit: mit der Insel Grenada, ihrer kolonialen Vergangenheit, ihren heutigen Bewohnern und ihrer reichen Vegetation.
Auch segelnd machten wir uns auf, diese fremden Welten zu ergründen. Zum ersten Mal stachen wir an einem Morgen in See. Vorsichtig und etwas schüchtern segelten wir durch den Kanal aus der Bucht, um bei wenig Wind zu testen, wie Mabul sich unter Segel anfühlt. Wir hissten das Großsegel und Genua und segelten am Wind der Südküste entlang gegen Osten. Was für ein Unterschied zum Charterboot, das wir im Juli einen Monat lang in Griechenland gesegelt waren! Während das Charterboot selbst bei wenig Wind mit großer Krängung im Wasser lag, glitt Mabul ruhig durch die Wellen. Kein Scheppern, kein Flappen, kaum Krängung. Ein richtig stabiles Blauwasser Boot! Das war ein stiller, meditativer Moment, zu sehen wie wir langsam an der grünen Insel vorbeiglitten, schweigend den Wind und die Wellen zu spürten… Lang hielt die Meditation jedoch nicht an. Als wir in einer Bucht zum Mittagessen ankern wollten, versagte die elektrische Ankerwinch…
Nach unserem ersten Segelausflug und nachdem Alex die Ankerwinch geflickt hatte, zog es uns bald wieder auf’s Meer. Dieses Mal segelten wir nicht alleine, sondern Jay kam mit seinem Boot, David und Kendra, ein junges amerikanisches Paar, das in den vergangenen Monaten die US-Ostküste heruntergesegelt war, in ihrem und auch Horst und Amy mit ihrem Hund Zoey waren mit ihrem Katamaran dabei. Dieses mal drehten wir gegen Westen ab und segelten bis zur Grande Anse Bay. Ab zwei Booten ist es eine Regatta, heißt es, und so war es auch. Dabei zeigte sich Mabul nicht gerade von ihrer Rennseite, der erfahrene Skipper Jay segelte uns allen davon, während wir in wenigen Metern Abstand neben David und Kendra durchs Wasser glitten.
Wir verbrachten einen Tag am Strand und fuhren am nächsten weiter zum Molinere Underwater Sculpture Park. Hier, auf fünf bis acht Metern Tiefe und einem Gebiet von 800 Quadratmetern hat der Künstler Jason de Caires Taylor 2006 einen Unterwasserpark angelegt. Er hat dabei Kunstwerke und Figuren aus Beton erschaffen, zu denen man nun heruntertauchen kann: eine Meerjungfrau, ein Mann, der an einem Tisch sitzt und auf einer Schreibmaschine tippt und Kinder, die Hände haltend in einem Kreis stehen und ins weite Blau des Meeres schauen. Der Künstler schreibt dazu, diese Kinder seien ein Symbol von Einheit und Widerstandsfähigkeit und mit ihrem Bewuchs von Korallen und Muscheln ein Beispiel dafür, wie wir geprägt sind, von dem, was wir zu uns nehmen und der Umgebung, in der wir leben. Für die Grenadiner sind diese Steinkinder, von denen einzelne aussehen, als hätten sie Fesseln an, auch eine Erinnerung an den Sklavenhandel der Vergangenheit. Grenada wurde 1974 unabhängig, heute sind über 80 Prozent der Bevölkerung direkte Nachfahren der Sklaven, die die Briten im 18. Jahrhundert aus Afrika nach Grenada verschifft hatten..
Auch Cutty, unser Reiseführer, stammt von afrikanischen Sklaven ab. Woher seine entfernten Verwandten genau kommen, weiß er nicht. Er sagte, viel wichtiger als die eigene Vergangenheit zu kennen, sei es, am Morgen einen Kakao-Tee aus frischen, lokalen Kakaokugeln zuzubereiten und dazu gesalzenen Fisch zu essen. Ich frage mich, ob wir Europäer vielleicht zu sehr in unserer Vergangenheit herumgraben und derweil vergessen, die Gegenwart zu genießen. Auf jeden Fall habe ich auf unserer Inseltour einen Packen Kakao-Kugeln gekauft und eine Kugel am Abend in heißem Wasser mit etwas Ingwer, Zimt und Zucker aufgekocht. Es hat vorzüglich geschmeckt!
Liebe Karin
Gerade habe ich deinen interessanten Bericht gelesen. Ich freue mich auf weitere lesenswerte Kommentare. Ich habe Grenada gesucht und werde weitere Fahrten mit euch am PC mitverfolgen. Lieber Gruss, viele glückliche und frohe Momente auf eurer Fahrt und heit Sorg.
Annemarie