San Blas – das mystische Paradies der Gunas
Von Providencia segeln wir 270 Seemeilen nach San Blas, Panama. Der Archipel besteht aus über 350 Inseln und Inselchen und wird von der indigenen Bevölkerung der Guna verwaltet und von ihnen Guna Yala genannt. Auf der Hauptinsel El Porvenir klarieren wir in Panama ein und zahlen unseren Beitrag an die autonome Behörde der Gunas. Porvenir ist winzig klein und besteht aus nicht viel mehr als aus einer Landebahn und ein paar Häusern. Als wir einklarieren, mäht ein Beamter das Gras, während der andere die Stempel in unseren Pass stempelt. Hier machen alle alles.
Bei unserem ersten Dinghy-Ausflug entdecken wir die Regina Maris, ein eindrücklicher 48 Meter langer Dreimastschoner. Wir statten dem Boot und seiner Crew einen Besuch ab und merken, dass dies ein ganz besonderes Schiff ist: 33 Schülerinnen und Schüler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz leben auf dem Boot. Sie sind Teil des „Ocean College“ (www.oceancollege.eu) einem Schulprojekt, das die Schule ein halbes Jahr lang aufs Meer verlegt.
Die Schülerinnen und Schüler heißen uns sofort auf dem Schiff willkommen und führen uns über und unter Deck. Die aktuelle Crew ist am 21. Oktober 2023 in Holland an Bord gegangen, Richtung Kap Verden gesegelt, hatte dann den Sprung über den Atlantik gewagt, wo sie über die ABC Inseln bis nach Panama gelangte. Von hier geht’s weiter gegen Norden, über Kuba wieder Richtung Nord-Osten und zurück über den Atlantik nach Europa.
Schülerin Daya und Schüler Ono führen uns auf die Brücke, wo Seekarten auf dem Kartentisch ausgelegt sind. Das Klassenzimmer befindet sich an Deck, mehr oder wenig unter freiem Himmel – bei Sturm kann es auch in die Messe verlegt werden. Ein Schüler flappt mit seinen Flossen vorbei, Hängematten mit Früchten schaukeln über den Tischen. In der Küche bereiten ein paar Schüler einige Lobster zu, die sie von den lokalen Guna gekauft haben. Alle sprechen voller Begeisterung von dem Leben auf hoher See und auf der Regina Maris, einem Abenteuer fürs Leben, das sie Flexibilität lehrt und ihre Neugierde auf die Welt weckt.
Wie eine mystische Märchenwelt wirkt das Inselparadies San Blas, als wir langsam Insel für Insel das Paradies erkunden. Hunderte von kleinen Sandhaufen liegen hier verstreut im glasklaren, türkisfarbenen Wasser. Auf manchen stehen ein paar Kokospalmen, ein oder zwei Hütten mit Palmblattdächern, auf anderen leben nur Pelikane oder Sandflöhe. San Blas wird von den Gunas, ca. 50’000 Indigenen, bewohnt und als autonomes Gebiet Guna Yala verwaltet.
Vor der Insel Salardup werfen wir Anker. Es geht nicht lange und zwei Gunas, die Fische und Langusten zum Verkauf anbieten, paddeln vorbei. Wenig später tuckert ein weiteres Boot heran. Eine Frau hält eine Küchenschürze und einen Weinflaschenhalter aus bunten, übereinander gestickten Stoffen hoch, traditionelle Molas, Stickereien also, die in alter Tradition die bösen Geister abhalten sollen. Die Frau ist im ganzen Archipel als Mola Lisa bekannt.
Als Mola Lisa vor 62 Jahren zur Welt kam, war sie kein Mädchen, sondern ein Junge. «Als ich sechs Jahre alt war, merkte meine Mutter, dass ich anders bin, einzigartig. Sie lehrte mich Molas zu fertigen, erklärte mir die mystische Bedeutung der verschiedenen Stickereien und kleidete mich in Mädchenkleider. Mädchen und Frauen sind bei uns die Hüterinnen von Tradition und Wissen und wenn ein Junge ein Mädchen sein will, wird das willkommen geheißen.» Mola Lisa ist eine «Omeggid», was in der Sprache der Gunas bedeutet «wie eine Frau». Mola Lisa ist zwar nicht verheiratet, aber sie hat die Erziehung ihrer Nichte und ihres Neffen übernommen, nachdem deren Vater die Familie verlassen hat. Sie verrichtet die gleichen Arbeiten wie andere Frauen und hat auf ihrer Insel die Stellung einer Frau, was in einer Gemeinschaft wie jener der Gunas viel Ansehen bringt.
Bei den Gunas haben bis heute die Frauen das Sagen, auch wenn die meisten offiziellen Posten von Männern besetzt werden. Doch es sind die Frauen, die das Geld und den Besitz verwalten und wichtige Entscheide in der Familie fällen. «Die Frauen sind wichtiger, weil sie die Traditionen weitergeben und die Kultur und weil Gott eine Frau auf die Erde geschickt hat, um diese Traditionen am Leben zu erhalten», erzählt Mola Lisa. Deshalb werden Mädchen mit Geschenken überhäuft, während Jungs sich mit weniger zufrieden geben müssen. Nach der Hochzeit ziehen die Ehemänner zu den Familien ihrer Bräute, nicht umgekehrt wie beispielsweise in Indien. Die wichtigsten Feiern, wie beispielsweise der Übertritt in die Pubertät, werden für Frauen abgehalten. Für Mädchen gibt es viele Rituale, zum Beispiel ein Ritual, wenn sie die erste Periode bekommen. Dann müssen die Männer in den Wald, um spezielle Blätter zu holen. Das Mädchen wir dann vier Tage lang in einem Blättersud gebadet und danach schwarz angemalt, damit alle wissen, dass sie jetzt kein Mädchen mehr ist, sondern eine junge Frau. «Noch heute pflegen wir unsere Traditionen. Sie sind es, die uns Zusammenhalt geben und schützen», sagt Mola Lisa.
Schützen vor was? Vor den Veränderungen. Touristen und moderne Kommunikationsmittel haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten Einzug auf dem Archipel gehalten. «Als ich vor 16 Jahren mit meinem Segelboot hier angekommen bin, musste ich Ersatzteile per Schiff oder mit einem winzigen Propellerflugzeug einfliegen lassen, weil es noch keine Straße durch den Dschungel gab. Telefonverbindung existierten nicht, Internet auch nicht», erinnert sich die 82-jährige Amerikanerin Susan Richter, die den Archipel zu ihrer Wahlheimat gemacht hat. Jetzt gibt es eine geteerte Straße durch den Dschungel, die direkt von San Blas nach Panama Stadt führt.
Seit die Regierung einen Mobilfunkmasten auf einer Insel errichtet habe, seien auch die Gunas über ihre Smartphones, die ebenfalls die Inseln erobert hätten, mit der Welt verbunden. Susan war eine der ersten Seglerinnen, die sich mit ihrem Schiff hier niedergelassen hat, doch längst wurde das Archipel von Charter-Anbietern und anderen Seglern als Geheimtipp entdeckt. Mit den ausländischen Gästen kamen die Dollars.
«Früher waren Kokosnüsse unsere Währung, heute dreht sich alles ums Geld. Jeder von uns will es», sagt der 73-jährige Guna Victor Morris. Er lebt mit seiner Frau und vier weiteren Familien auf einer Insel neben einem besonders beliebten Ankerplatz. Stachelrochen und Ammenhaie schwimmen an den Booten vorbei, doch Fische sieht man kaum mehr. Die Langusten, die die Gunas aus ihren Kanus feilbieten, sind meist noch klein und jung und selbst in der Schonzeit von März bis Mai würden sie gejagt und zum Verkauf angeboten, sagt die Seglerin Richter.
Auch Mola Lisa spricht von Überfischung: «Als ich Kind war, fischten wir mit Leinen aus Holzkanus, heute sind die meisten unserer Boote motorisiert und wir haben Schleppnetze. Früher fischten wir 30, 40 Fische am Tag und verteilten sie unter allen Dorfbewohnern. Heute gibt es viel weniger Fischer und was wir fangen, verkaufen wir an die Touristen.» Während die Traditionalisten in den Dörfern die Touristen für den Fischmangel und auch das wachsende Abfallproblem verantwortlich machen, sagt Mola Lisa: «Nicht die Touristen sind Schuld, wir sind es. Wir haben die Touristen willkommen geheißen, weil wir ihr Geld wollten. Wir fangen zu viele Langusten und Fische, weil wir nicht verstehen, dass wir uns damit unsere Lebensgrundlage zerstören.» Eigentlich gäbe es Regeln, aber das Archipel ist so groß, Regeln durchzusetzen, wo jemand sie brechen wolle, sei schwierig. Das Einzige, was helfen würde, sei Ausbildung, das Verständnis für Zusammenhänge, Verantwortung, sagt Mola Lisa, die ihre Nichte und ihren Neffen deshalb nach Panama zur höheren Ausbildung geschickt hat.
Mola Lisa nimmt uns mit auf eine Dschungelwanderung. Wir fahren mit einem kleinen Boot an Land. Mit Macheten hacken zwei von Mola Lisas Helfern den Weg im Dschungel frei, bis wir zu einem Friedhof kommen, auf dem Mola Lisas Eltern liegen. Mola Lisa erklärt, wie ihre Eltern, wie auch alle anderen Toten hier, in Hängematten für alle Zeit ruhen. Für die Hängematten wird ein großes Loch gegraben und sie werden an Pfähle gebunden, die Toten hineingelegt und dann mit Erde überschüttet. Hier ruhen sie und Mola Lisa kommt oft, um für ihre Mutter und ihren Vater rituellen Kakao anzuzünden.
Vom Totenreich gehen wir weiter durch den Dschungel und nach ca. zwei Stunden erreichen wir einen Fluss. Von hier geht’s mit Sprüngen, schwimmend und watend durch den Fluss. Das macht richtig Spaß und am Abend sind wir alle ziemlich geschafft….
Mola Lisa sehen wir nicht wieder und ihre Insel dürfen wir nicht besuchen. Dort findet zu jener Zeit, als wir in der Nähe sind, ein großer Kongress der «Sailas», der Amtsträger des Archipels, statt. Vier Tage lang geben diese altes Wissen ihres Stammes an die Jungen weiter. Touristen haben in dieser Zeit keinen Zutritt zu ihrer Insel. «Wenn wir lernen unsere alten Traditionen zu schützen und gleichzeitig unser Wissen über die modernen Zusammenhänge erweitern, werden Tourismus, Geld, Öffnung ein Segen sein. Wenn nicht, sind sie ein Fluch», sagt Mola Lisa.
Am nächsten Tag kommt das Gemüseschiff vorbei und wir kaufen, was es hat: Zwiebeln, Kartoffeln, ein paar Karotten. Die Gunas haben sich organisiert und gelernt von den Touristen zu profitieren. Auf einer Insel gibt’s ein Restaurant mit Pizzas und Focaccia Brot auf Bestellung. Aber Tourismus ohne Veränderung gibt es nicht.
In Guna Yala mache ihnen noch etwas Sorge, sagt der Guna Victor: «Das Wetter hat sich verändert. Immer heißer werde es….» Wir sehen es mit eigenen Augen, als wir über die Riffe schnorcheln: Viele sind weiß, tot, abgebrochen, ohne Fische.
Als wir später in Panama sind, suche ich das Smithsonian Institute auf, eines der führenden Tropeninstitute der Welt, das seit über hundert Jahren Klimaforschung betreibt. Hier treffe ich Steven Paton, ein kanadischer Wissenschaftler, der seit drei Jahrzehnten in Panama wohnt. Er leitet das Monitoring Programme des Instituts und ist damit beauftragt Daten zu Umwelt, Meteorologie und Ozeanographie zu sammeln und auszuwerten. Er spricht vom Klimaphänomen El Nino. Es war der dritte El Niño in 26 Jahren. «Die Frage ist nun: Hat das mit dem Klimawandel zu tun oder ist es einfach Zufall, dass wir so viele El Niño Phänomene in so kurzer Zeit haben?» Er wisse es noch nicht.
Doch dann zeigt mir Paton die Statistiken und Kurven auf seinem Bildschirm. Alle zeigen in eine Richtung: Sie gehen steil nach oben.
Noch nie war es so heiß, wie im letzten Jahr und noch nie so trocken. Auch die Weltmeere, die als Hitzespeicher der Erde dienen, waren wärmer als je zuvor. Das Wasser des karibischen Meeres war im vergangenen Jahr an vielen Orten über 30 Grad Celsius warm, temperaturmäßig die Todeszone für Korallen. «Seit Sommer 2023 müssen wir dem schlimmsten Korallensterben in der Karibik zusehen», sagt Paton. Die steigenden Meerestemperaturen seien eine direkte Folge des Klimawandels. «Weltweit sind die Korallen in Gefahr. Dabei sind sie unter Wasser, was der Regenwald an Land ist: Lebensraum für unglaublich viele Tiere und sie verhindern Erosion.» Steigen die Wassertemperaturen weiter, würden die meisten Korallenriffe bis Ende des Jahrhunderts tot sein, prognostiziert Paton. Das werde eine katastrophale Kettenreaktion auslösen: Die Jungfische verlieren ihre Schutzzone und die erwachsenen Fische ihre Nahrung. Viele Inseln werden nicht mehr vor der Brandung geschützt sein, weil tote Korallen zerbrechen. Inseln werden verschwinden, ihre Bewohner werden sich ein neues Zuhause suchen müssen.
In San Blas ist der Klimawandel bereits Realität, Inseln sind bereits verschwunden. Wieder merken wir, wie gefährdet die Paradise unseres Planten sind, wie stark wir in einem verwobenen, verbundenen Netzwerk leben. Fällt ein Dominostein, fallen alle anderen auch.
Zusammenfassung
Zurückgelegte Distanz: 287 sm
Fahrtzeit: 1 Tag 19,5 Stunden
Durchschnittsgeschwindigkeit: 6,5 kn
Motorstunden: 3 Stunden
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hallo karin, als der Alex bei uns in willing war, hat er mir deinen boatcast empfohlen……..
da mich ja reisen immer stark interessiert, werde ich fleissig weiterlesen! ich war dieses jahr mit dem vw bus 2 monate in marokko, das war auch sehr schön…..
gruss Gerd