31. Dezember 2022

Martinique: Bonjour la France!

Martinique überrascht uns. Nicht weil die Insel spezielle Naturerlebnisse oder eine besonders interessante Geschichte bietet, sondern weil sie eine Art Mini-Südfrankreich in der Karibik ist. Bereits am ersten Abend, nachdem wir am 25. November müde in Sainte Anne geankert und das Boot aufgeräumt haben, machen wir einen kurzen Landgang. Hinter dem Dinghy-Dock von Sainte Anne liegt ein kleiner Park, dahinter eine Kirche, dazwischen eine Post, ein paar Restaurants und ein Carrefour-Express.

Käseparadies Martinique

Und da sind sie: Camembert, Comté, Munster, Reblochon, Brie und wie sie, die weichen, milchigen Käsesorten aus Frankreich, alle heißen. Und daneben Schinken, Speck, Baguette…Für mich, die Allesesserin, wird Martinique so zum kulinarischen Paradies, für Alex, dem Veganer-Vegetarier, sieht der Menüplan eher bescheiden aus und besteht in Restaurants vor allem aus Beilagen.

Am zweiten Tag nach unserer Ankunft fahren wir etwas weiter in die Bucht hinein nach Le Marin, einem Hafen, wie wir ihn bislang noch nicht gesehen haben. Ein Schiff reiht sich neben das andere, Hunderte müssen es sein, und viele, die vor Anker liegen, scheinen schon seit Monaten oder Wochen hier zu liegen, manche wohl ganz und gar verlassen.

Leader Price, ein Supermarkt mit Dinghy Dock

In Martinique haben wir primär ein Ziel: Einkaufen. Nebst diversen Bootsteilen, die hier einfacher erhältlich sind als auf anderen Karibikinseln, wollen wir das Boot auch mit Nahrungsmitteln, die hier günstig und gut sind, für die kommenden Monate ausrüsten. Nach dem ersten Einkaufstag ist Mabul mit neuem, Fisch verziertem Schiffsgeschirr, verstellbaren Seglerstühlen, neuen Klobrillen mit Kakadubemalung und diversen Ersatzteilen beladen. Dann beginnen die vielen Fahrten zum Leader Price, wohl dem einzigen Supermarkt in der Karibik mit eigenem Dinghy-Dock. Wir können direkt am Holzsteg mit unserem Dinghy anlegen und nach dem Einkauf unseren vollbeladenen Einkaufswagen zum Dock fahren, alles ins Dinghy laden und zu Mabul tuckern. Nicht nur eine, sondern mehrere Fahrten über drei Tage machen wir so und stopfen jeden Winkel, jede Lücke von Mabul voll: Zehn Liter Olivenöl, Sechzig Liter Wein, fünfzig Kilo Pasta, Reis, Salz, Suppen, Büchsen voller Tomaten, Mais, Oliven und Erbsen, auch Müsliriegel, sowie Schokolade, Kekse und andere Leckereien fehlen nicht.

Wir beladen Mabul mit Nahrungsmitteln für die kommenden Monate

Mabul scheint mit jedem Einkauf etwas dicker zu werden und etwas tiefer zu liegen, bereits spült das Wasser über unsere Einstiegstreppe. Nun sind wir gerüstet für die nächsten Monate und müssen nur noch frisches Gemüse, Früchte und nach Möglichkeit Käse kaufen. Dann mieten wir ein Auto und fahren zu diversen Tauchshops, um unsere Tauchausrüstung aufzurüsten und zu Decathlon, um Lampen, Trinkbecher, Badetücher und ein SUP zu kaufen. Und natürlich fehlen auch die Baumärkte mit ihren Multitools, Silikontuben und Abdeckbändern auf unserer Einkaufstour nicht. Inzwischen, so scheint es mir, haben wir so viel Werkzeug an Bord, dass wir bald eine zweite Mabul bauen könnten. Mit der neuen Säge fabriziert Alex als erstes einige Regale, damit wir auch alle unsere Einkäufer sicher verstauen können.

Wir ankern in Sainte Anne vor dem Club Med

Sechs Tage lang dauert unsere Einkaufstour, dann lichten wir den Anker und fahren zurück nach Sainte Anne, wo sich über die Tage immer mehr unserer Freunde einfinden: Moshe und Vered mit ihrer kleinen Hündin Lychee, Horst und seine Labrador Hündin Zoye, Ricki und Martin und ihre Kinder, Mel und Tony und ihre wilden Labrador Hunde, Jay, Suzi, Emmanuel und ihre Töchter und schließlich auch unsere holländischen Freunde Aagje und Jeroen mit ihrem indischen Adoptivsohn Rajesh. Alle ihre Geschichten findet ihr in unterschiedlichen Folgen unseres BoatCast. Nun ist unsere Seglerfamilie wieder vereint. Alle rüsten ihre Boote auf, sind mit Bootsarbeiten beschäftigt und abends treffen wir uns am Strand oder gleiten langsam auf dem SUP durch die Bucht.

Ein Wirbelsturm über dem Nordatlantik verhindert unsere Weiterreise (Quelle: PredictWind)

Alex und ich warten nun auf ein geeignetes Wetterfenster, um nach Guadeloupe zu segeln. Dort wollen wir unseren ersten Gast abholen: Alexs Mutter Petra. Sie soll am 12. Dezember, kurz vor Alexs Geburtstag, anreisen. Doch das Wetter spielt nicht mit. Über dem Atlantik tobt ein gewaltiger Sturm, der uns zuerst allen Wind absaugt, so dass tagelang Flaute herrscht und als der Wind endlich wieder zunimmt, kommt er direkt aus Norden und bringt hohe Wellen. Unsere Überfahrt nach Guadeloupe würde so nicht nur ungemütlich, sondern auch sehr viel länger, da wir den ganzen Weg gegen den Wind aufkreuzen müssten. Zum Glück kann Petra umbuchen und landet am 12. Dezember in Fort de France, der Hauptstadt von Martinique.

Die Flautetage nutzen wir, um den Propeller zu putzen und mit neuem Kugellager zu bestücken

Wir nutzen die Tage bis zu Petras Ankunft, um einige Bootsprojekte zu erledigen: Alex baut den Propeller wieder unter Wasser ab, zerlegt ihn und wir bestücken die Kugellager neu, reinigen und fetten sie, in der Hoffnung, dass so die anhaltenden, unregelmäßigen Propellergeräusche aufhören. Ich nutze den Rest der verbleibenden Luft in der Tauchflasche, um wieder einmal den ganzen Bootsbauch von Algen und Muscheln zu befreien. Dann segeln wir nach Fort de France. In den wenigen Minuten, in denen wir den Motor nutzen, lauschen wir auf die Propellergeräusche – sie sind fast regelmäßig, aber leider nur fast. Wir müssen uns etwas Neues einfallen lassen.

Ankerplatz in Fort de France

In Fort de France ankern wir direkt neben der Mauer des Forts. Alex fährt mit dem SUP zum Strand und ich bereite aus dem Blätterteig und den Mirabellen, die ich bei Carrefour gekauft habe, eine Wähe zu. Doch was ein kulinarisches Highlight werden sollte, wird zu einer pappigen Masse, der Teig ist weich und matschig. Entweder muss ich die Ofenback-Anleitung genauer studieren oder unser Ofen hat ebenfalls ein Problem…..Ein Boot ist wirklich wie ein altes Haus: die Projekte gehen einem nie aus. Ich versuche zu retten, was noch zu retten ist und backe die einzelnen Wähestücke in der Pfanne nach, aber auch dieser Rettungsversuch wird nichts und die Wähe wandert über Bord und erfreut hoffentlich die Fische. Zudem erweist sich der Ankerplatz als ziemlich ungemütlich. Alle paar Minuten fahren Fähren durch die Bucht und die großen Wellen, die sie verursachen, lassen Mabul wild von einer Seite zur nächsten schaukeln, so dass durch die Kabine fliegt, was nicht niet und nagelfest angemacht ist. In der Nacht setzen die Fähren zwar aus, aber lauter Bass von Musik am Strand lassen Mabul bis in die späte Nacht erzittern.

Fort de France ist auch ein beliebtes Ziel von Kreuzfahrtschiffen

Vor Petras Ankunft am Abend statten wir Fort de France einen Besuch ab. Die kleine Innenstadt wirkt mit ihren Pflastersteinen und kleinen Läden aufgeräumt, die zweistöckigen Häuser sind bunt bemalt oder mit Graffitis geschmückt. In einem lokalen Markt kaufen wir ein paar Avocados, frische Vanillestangen und etwas Gemüse. Doch hier wird zum ersten Mal sichtbar, dass auf Martinique nicht bloß Wohlstand herrscht. An einigen Ecken stehen Bettler und hinter einem Auto setzen sich zwei Junkies einen Schuss.

Die Bibliothek Schoelcher in Fort de France

Wir besuchen die wenigen Sehenswürdigkeiten der Stadt, so auch die Schoelcher Bibliothek. Das Gebäude ist augenfällig, weil es architektonisch aus dem Rahmen fällt, westliche und orientalische Stile verbindet und mit seiner Kuppel an ein türkisches Bad erinnert. Architekt Henri Pick baute das gesamte Gebäude, das dem Indochina Pavillon der Universal Exhibition in Paris von 1889 entsprach, im Jardin des Tuileries in Paris auf. Die Bibliothek wurde dann Stein für Stein nach Martinique verschifft und 1893 in Forte de France wieder aufgebaut. Benannt wurde sie nach Victor Schoelcher, der die 10 000 Bücher für die Bibliothek stiftete. Er war Politiker, Journalist, Untersekretär der französischen Regierung für die Kolonien und in Frankreich einer der bekanntesten Gegner der Sklaverei, zu deren Abschaffung er massgeblich beitrug. Seine Bücher schickte er nach Martinique, weil er wollte, dass hier auch die Sklaven beziehungsweise ex-Sklaven gratis Zugang zu einer Bibliothek und damit zu Bildung bekommen.

Apropos Sklaverei: Die französischen Siedler schafften bereits ab dem frühen 17. Jahrhundert Sklaven aus Afrika nach Martinique und in die anderen französischen Kolonien, wobei die Männer in den Zuckerrohr- und Kaffeeplantagen arbeiten mussten, während die Frauen als Dienstpersonal ihren französischen Herren dienten. 1745 waren rund 65 000 der 80 000 Bewohner von Martinique, Guadeloupe und Saint Dominigue, den drei französischen Kolonien, Sklaven. 1794 wurde die Sklaverei im Zuge der Französischen Revolution in Frankreich abgeschafft, doch das galt nicht für die Kolonien. Zudem machte Napoleon die Abschaffung der Sklaverei 1802 noch einmal rückgängig, es heißt seine Frau Joséphine habe ihn dazu gedrängt. Sie war in Martinique in eine reiche, französische Familie mit einer großen Zuckerrohrplantage hinein geboren worden und fand ein Leben ohne Sklaven äußerst unpässlich. Erst 1848 wurde die Sklaverei nach diversen Revolten auch in den Kolonien abgeschafft. Auf der Place de la Savane in Fort de France kann man heute noch eine weiße Marmorstatue von Napoleons Frau Joséphine besichtigen, die 1850 errichtet worden war. Heute ist ihr Torso kopflos und erinnert daran, dass auch Martiniques Reichtum mit dem Blut und Schweiß von schwarzen Sklaven erschaffen worden war und Joséphine alles andere als in freundlicher Erinnerung geblieben ist.

Alexs Mutter Petra ist unser erster Gast an Bord. Sie bringt viele Geschenke aus Europa

Am späten Abend holen wir Petra, Alexs Mutter, am Dinghy Dock ab. Sie reist mit schwerem Gepäck an, wobei das meiste für uns ist, darunter ein 3D-Drucker, um Ersatzteile zu drucken, sowie Kondensatoren für unseren kaputten Inverter und wasserdichte Hüllen für unsere diversen Elektronikgeräte.

Am nächsten Morgen, dem 13. Dezember, segeln wir noch einmal zurück nach Saint Anne, wo uns ein Techniker unsere MMSI-Nummer, unsere Maritime Identifikationsnummer, neu programmiert. Der 13. Dezember ist auch Alex Geburtstag und wir feiern seine 38 Jahre mit unseren Freunden an Bord von Mabul, wobei der Geburtstagskuchen wieder als Fischfutter wieder über Bord wandert….der Ofen…In vergnüglicher Stimmung beschliessen wir, die Weiterreise gemeinsam mit Aagje, Jeroen und Rajesh, der Crew von my Motu, zu unternehmen. In zwei Tagen wollen wir gemeinsam Richtung Norden segeln. Eine kleine Regatta soll es werden und wir sind wild entschlossen, sie zu gewinnen. Zwei Tage später, um Punkt neun Uhr soll es losgehen.

Erster Segeltag mit Petra an Bord

«Three minutes to go – are you guys ready?», schreibt Aagje um drei vor 9 Uhr. Wir sind bereit, die Baguettes vom Bäcker liegen als Sandwiches im Kühlschrank, die Leinen und Segel sind startklar. Um zwei vor neun versuchte ich den Motor zu starten, aber der macht keinen Mucks. Um 9 Uhr schreibt Aagje «Go!». Kurz darauf sehen wir sie an uns vorbeifahren….Alex macht sich sofort am Motor zu schaffen und untersucht die üblichen Verdächtigen, ein paar korrodierte Kabel. Doch nichts hilft, der Motor bleibt stumm. «Wir verlieren Öl!», ruft Alex aus dem Motorraum und: «Shit! … wenn wir ein Ölleck haben, dann bedeutet das, dass wir die kommenden Wochen im Hafen verbringen. Dann muss der gesamte Motor ausgebaut werden.» Kurz darauf sehe ich, wie Kissen, Polster, Taschen und Werkzeug aus einer der hinteren Kabinen in den Salon fliegen, damit Alex besseren Zugang zum Motor, der zwischen den beiden hinteren Kabinen liegt, bekommt. Die Stimmung fällt auf Null. Hört das jemals auf mit den Bootsprojekten? My Motu hat inzwischen hinter uns geankert. Wenn wir nicht segeln, wollen auch sie warten, denn wenn wir etwas haben, dann Zeit.

Strandtag während Alex wieder einmal den Motor flickt

Was ich inzwischen gelernt habe: In solchen Momenten ist es am Besten, Alex alleine zu lassen. So mache ich mich mit Petra zu Fuss auf zur Saline Bucht, die wir auf einem kleinen Dschungelpfad erreichen. Als die Sonne am späten Nachmittag schon fast den Horizont erreicht hat, kommt Alex mit dem Dinghy angefahren. Er hat das Problem gelöst. Diesmal war es das korrodierte Kabel zum Startermotor.

Auf dem Weg nach Norden

Mit einem Tag Verspätung segeln wir am nächsten Morgen los. Bis zum Diamond Rock auf halber Strecke ist es ein Kopf an Kopf Rennen, doch dann holt die Crew von my Motu ihre Segel ein und packt ihre Drohne aus und das war’s, wir ziehen an ihnen vorbei. Da sie die Drohne nur in einer halsbrecherischen Aktion – Jeroen muss ins nachgeschleppte Dinghy steigen – wieder einfangen können, gewinnen wir Zeit und Distanz. Mit dem Fischen haben wir weniger Glück, ich ziehen fünf Mal Seegras an Bord und gebe schliesslich auf, zumindest für diesen Schlag. Nach sechs Stunden sehen wir Montagne Pelée, den Vulkan im Norden von Martinique. Hier in der Bucht, vor dem kleinen Städtchen Saint Pierre, werfen wir Anker und fallen bald darauf müde ins Bett. In der Nacht erwache ich, weil starke Böen an Mabul zerren. Ich setze mich an Deck, betrachte die dunkle Nacht und den leuchtenden Sternenhimmel und versichere mich, dass der Anker uns und unser Boot an Ort und Stelle hält, dann falle ich wieder in tiefen Schlaf. Am nächsten Tag wollen wir Saint Pierre erkunden.

Im Gefängnis von Saint Pierre überlebte ein Gefangener den Vulkanausbruch von 1902

Saint Pierre gehört zu jenen Städten, die einst große Bedeutung hatten und dann durch eine tragische Wende in Vergessenheit gerieten. Die Stadt wurde im Jahr 1635 von Pierre Belain d’Esnambuc (1585–1636), dem ersten Gouverneur der Karibikinsel Saint-Christophe, im Auftrag von Kardinal Richelieu gegründet. Bis zur Verlegung des Gouverneurssitzes nach Fort de France 1692 war sie Verwaltungs- und bis 1902 auch Handelshauptstadt von Martinique. Die letzten Ureinwohner, die Kariben, nahmen sich durch Sturz von einem hohen Meeresfelsen (heute als Tombeau des Caraïbes – Karibengrab bekannt) nördlich der Stadt das Leben, um nicht unter das Joch der Kolonisation oder Sklaverei zu geraten – genauso, wie sie das auch in Grenada im Süden getan hatten. Der Zucker- sowie der Sklavenhandel ließen die Stadt gedeihen und prosperieren, so dass sie sich zum wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum der gesamten Kleinen Antillen entwickelte und Beinamen wie „Klein-Paris“, „Paris der Inseln“, „Perle der Antillen“ oder „Venedig der Tropen“ erhielt. Handelsschiffe aus aller Welt liefen den Hafen an und Saint Pierre besaß früher als viele andere auch größere Städte Einrichtungen moderner Technik und bedeutende Gebäude. Neben einer Handelskammer, einer Pferdebahn, einem Theater für 800 Zuschauer, einem elektrischen Straßenbeleuchtungsnetz und einem botanischen Garten besaß Saint Pierre mit dem Asile Bethléem eines der ersten Pflegeheime für psychisch Kranke. Dann, 1902, kam es zur verheerenden Katastrophe, die alles veränderte.

Früchte und Gemüse vom nährstoffreichen Vulkanboden von Saint Pierre

Saint Pierre erwartet uns am nächsten Morgen mit einem Gemüse- und Fischmarkt. Die Früchte und das Gemüse leuchten in frischen Farben, dem nährstoffreichen Vulkanboden sei Dank. Vulkan Pelée ist es denn auch, weshalb Touristen bis heute ins kleine Städtchen pilgern. 1902 brach der Vulkan aus, er explodierte förmlich, und ließ die Stadt und die Schiffe in der Bucht lichterloh brennen. Von den 28000 Einwohnern überlebten lediglich drei. Die Spuren von damals sind bis heute sichtbar.

Nur die Treppe des Theaters überstand den Vulkanausbruch

Die Rue d’Enfer führt in eine höher gelegene Gasse, vor das alte Theater. Die geschwungenen Treppen, die zum Theater hochführten und das Eisengelände, sind das Einzige, was dem Vulkanausbruch standgehalten haben. Von hier sieht man auch auf die Grundmauern des ehemaligen Gefängnisses, das Mauer an Mauer mit dem Theater lag. Hier, in einer Zelle, die Asche und Lava trotzte, war einer der einzigen Überlebenden eingesperrt: Louis Cyparis. Seine Zelle bestand aus einem winzigen Gebäude mit einem gerundeten Steindach und kleinen Fenstern. In der Zelle ist es kühl und feucht und die Wände sind dick. Das war Louis Cyparis Rettung, als sich die Stadt um ihn in ein brennendes Inferno verwandelte.

Unweit der Ruinen liegt ein niedriges, flaches Gebäude mit Blick aufs Meer. Es ist das Museum «Mémorial de la Catastrophe de 1902» von Frank A. Perret. Ein Audioguide führt in einer halbstündigen Tour durch das Museum, in dem Fotos des Vulkanausbruchs, aber auch Gegenstände ausgestellt sind: zusammengeschmolzener Kakao, Kaffee, Nudeln, Nägel und Schrauben. Die riesige Glocke vom gesunkenen Schiff «The Tamaya» wurde von der Hitze wie ein Schwamm zusammengedrückt. Ein Bild zeigt die Hauptstraße gleich nach dem Vulkanausbruch: Zwei Zeilen von Backsteinmauern mit geschwungenen Fenstern und Türbogen sind das Einzige, was Glut und Feuer getrotzt haben. Die Stadt sieht aus, wie nach einem Luftangriff im zweiten Weltkrieg. Das einstige Handelszentrum von Martinique ist vollständig zerstört und es wird lange dauern, bis sich hier wieder Leben ansiedelt.

Vor dem Vulkanausbruch war Saint Pierre das Handelszentrum von Martinique (Quelle: Museum «Mémorial de la Catastrophe de 1902»)
Nach dem Vulkanausbruch war die Stadt zerstört (Quelle: Museum «Mémorial de la Catastrophe de 1902»)

Beim Vulkanausbruch sanken Dutzende von Schiffen, die in der Bucht vor Anker lagen. Zu einigen der Wracks kann man heute noch herunter tauchen, die meisten jedoch liegen zu tief. Auch die The Tamaya, ein 162 Fuss langer Dreimaster, der 1862 in Liverpool gebaut worden war und ein Cargo von 459 Tonnen an Bord hatte, liegt auf 85 Metern unter der Meeresoberfläche. The Tamaya war auf seiner letzten Reise von Maison Rozier in Nantes nach Martinique, wo er am 18. Februar 1902 Anker warf. Das Schiff sank beim Vulkanausbruch am 8. Mai und mit ihm zwölf Mitglieder seiner Crew. Das Wrack wurde 1983 von einem Französischen Kriegsschiff gefunden und anhand seiner Schiffsglocke identifiziert – dieselbe Schiffsglocke, die nun im Museum ausgestellt ist.

Während die Tamaya zu tief für uns liegt, tauchen wir an einem Nachmittag zum Wrack der Raisinier. Da ihre Teile nur auf einer Tiefe von sechs bis zehn Metern liegen, können wir ohne Tauchflaschen zu ihr heruntertauchen. Das Wrack liegt überall auf dem Meeresgrund verteilt und große Schwämme und Korallen wuchern über den alten Schiffsrippen. Ich tauche mehrere Male herunter, sehe einen Pufferfisch und einen langen Pipefisch, sowie eine ganze Anzahl von weiteren bunten Fischen. Auch unter der Boje, wo die Tauchboote festmachen, hat sich ein großer Schwarm von winzigen Fischchen versammelt. Unglaublich, welch buntes Leben auf eine solch gewaltige Zerstörung folgte, gar von ihr genährt wird.

Am nächsten Morgen verlassen wir Martinique. Gemeinsam mit der Crew von SV My Motu hissen wir die Segel und nehmen Kurs auf Dominica, dem größten Naturparadies der Karibik.

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