Auf dem Trockenen I

Für mehr als vier Monate, von August bis Anfang Dezember 2023, ist Guatemala unsere Wahlheimat. Hier verbringen wir die Hurrikan Saison und hier machen wir unsere Mabul fit für die kommenden Segel Etappen. Es gibt viel zu tun, die Liste ist lang und hört nicht auf zu wachsen. Viele Projekte habe ich für Wochen und Monate auf Eis gelegt, „Das kann man ja dann alles in Guatemala beim Segelboot Refit erledigen“, sagte ich mir. Damals denke ich noch, drei Monate sollten ja locker reichen, wenn man nur eifrig ans Werk geht… Noch habe ich keine Ahnung, wie anstrengend und chaotisch alles werden würde.

Bereits drei Tage nach unserer Ankunft in Guatemala hängt Mabul in den Schlingen des Travellifts der RAM Marina und wird aus dem Wasser gehoben. Schnell muss es gehen, da Karin bald für einen Monat in die Schweiz fliegt und den Dauerpatient Propeller im Koffer mitnimmt. Von dort aus soll sie ihn an meine Mutter nach Deutschland schicken, die ihn weiterschicken wird zum Hersteller nach England, wo er überarbeitet werden soll. Das ist noch die einfachste aller Übungen, die uns in den kommenden Monaten erwarten werden…

Mabul auf dem Weg zum Trockendock

Da ich zu diesem Zeitpunkt noch kein Wort Spanisch spreche, außer cerveza, baño und gracias, holen wir vor Karins Abflug noch alle Arbeiter an Bord Mabuls, damit Karin erklären kann, was gemacht werden soll und vor allem wie. Alle nicken und man hört nur „no hay problema“, alles kein Problem also. Sagen sie…

Einen Tag später sitzt Karin im Flugzeug und ich werde mit der harten Realität konfrontiert. Die Luftfeuchtigkeit beträgt vermutlich 99%, die Temperatur tagsüber liegt jenseits der 30°C und unter Deck herrscht eine Hitze, wie ich sie noch nicht erlebt habe. Statt in kühlendem Wasser schwimmend, steht Mabul auf einer gigantischen Betonfläche, die mich schon morgens um acht Uhr zum Schwitzen bringt.

Die ersten Tage bin ich völlig überfordert mit der schier unendlichen Liste von Aufgaben und jedes Mal wenn ich ein kleines Projekt starten will, bricht mir der Schweiß aus und ich weiß nicht, wie ich das alles bewältigen soll. Auch, dass alle Arbeiter um mich herum ausschließlich Spanisch sprechen, macht mir das Leben nicht gerade leichter.

Der erste Borddurchlass kommt raus, um Platz für neue aus Kunststoff zu schaffen

Doch das kommt nicht unerwartet und ich habe bereits einen anderen Cruiser, Pablo, gefunden, der mir die Sprache in Rekordzeit eintrichtern soll. Zum Glück macht er das nicht zum ersten Mal, und ich komme gut mit seiner Herangehensweise zurecht. So beginne ich jeden Tag im ersten Monat in Guatemala mit zwei Stunden Spanischkurs, one on one, wie man so schön sagt. Nur ist es damit natürlich nicht getan und so sitze ich jeden Abend nochmals mindestens zwei Stunden in unserem gemieteten Dschungelbungalow und brüte über Vokabular, Grammatik und Aussprache.

In der Zeit dazwischen arbeite ich auf dem Boatyard alleine an Mabul, da die Preisverhandlungen für die Arbeiten noch laufen, und ich versuche vegetarisches Essen zu finden. Ich beginne damit, alles auseinander zu reißen, der Start aller Projekte. So schneide ich sämtliche 35 Jahre alten Borddurchlässe aus Bronze mit dem Winkelschleifer aus Mabuls Rumpf heraus, entsorge ein komplettes elektrisches Klo, welches ich später durch ein manuelles ersetzten werde, und baue alles ab, was weg muss.

Geordnetes Chaos unter Deck

Nach zwei Wochen habe ich mich einigermaßen akklimatisiert und ich kann länger als zehn Minuten am Stück unter Deck arbeiten. Nun sehe ich endlich erste Fortschritte meiner Arbeit. Das Chaos an Bord ist kaum noch überschaubar. Überall liegt Werkzeug und Material, die Bodenbretter sind geöffnet und langsam aber sicher legt sich ein Film aus Fiberglas Staub über das gesamte Interieur.

Die Genua liegt inzwischen bei Nery, der ihr einen neuen UV Schutz aufnähen wird, da der alte überall reißt. Nery macht noch einige andere Projekte für Mabul, unser Bimini soll Seitenteile bekommen, um besser vor Sonne und Regen geschützt zu sein. Der Lazybag, also der Sonnenschutz, in dem das Großsegel auf dem Baum liegt, soll komplett neu gemacht werden – der bisherige ist altersschwach. Und zu guter Letzt brauchen wir neue Fliegengitter für die Luken, Niedergang und unserer Kabine, sowie Ersatz für einige Decken Panelen, an denen das weiße Kunstleder wegfällt.

Nery mit dem ersten Schnitt unseres neuen Lazybags

Meine Abende verbringe ich fast ausschließlich bei Martin & Rikki von SV Arancanga, die nur einen Steinwurf von mir in einem weiteren Bungalow wohnen. Mit Martin quatsche ich bis tief in die Nacht über Bootsprobleme unserer beiden Boote, deren mögliche Lösungen und allem was sonst noch mit Bootstechnik zu tun hat. Tatsächlich kommen wir oft gemeinsam auf gute Ideen, die wir beide am nächsten Tag in den Werften erfolgreich umsetzen können. Wenn’s mal nicht klappt, geht es eben in die nächste Diskussionsrunde, bis das Thema erledigt ist. Und Rikki versorgt uns täglich mit gutem Essen, was die Moral hochhält. Vielen Dank euch beiden, ich weiß nicht, ob ich ohne euch durchgehalten hätte!

Nach Feierabend am Pool mit Martin, Rikki und Thomas von SV Irmi

Dann, nach zwei Wochen, steht endlich der Fixpreis-Deal für die Arbeiten mit der Marina, und es geht los. Joel und Kevin, unsere beiden Arbeiter, schlagen bereits das alte Teak Deck ab, als ich am Morgen bei Mabul ankomme. Die Geräuschkulisse dabei ist entsetzlich und es bricht mir das Herz, als ich die Holzsplitter fliegen sehe… Aber was hilft es schon. Bevor es wieder schön werden kann, steht erstmal Abriss auf dem Plan.

Die Beiden werden am Ende über 12 Wochen am Stück an Mabul arbeiten, doch das Ausmaß ihrer Arbeit erkenne ich erst im Verlauf der Zeit. Mein Spanisch ist inzwischen soweit gereift, dass ich erste simple Sätze über die Lippen bringe und so beginne ich mit Joel und Kevin zu kommunizieren. Am Anfang noch mit viel Unterstützung einer Übersetzungs-App auf dem Handy, da mein Vokabular noch viel zu gering ist. Aber genau durch dieses Rumgewürge mit den Beiden kommt Routine in mein Spanisch und ich merke wie es deutlich schneller besser wird als davor. Joel bringt mir die wichtigsten Worte für die Bootsarbeiten bei, und so können wir Hand in Hand arbeiten, als wir zusammen alle Decksbeschläge abbauen.

Joel und Kevin reißen das alte Teak Deck runter

Auch nach Feierabend geht es mit Nebenprojekten auf der anderen Flussseite des Rio Dulce bei den Bungalows weiter. Arancanga hat den gleichen Wassermacher an Bord wie Mabul, und Martin muss den kompletten Service machen, da es irgendwo leckt. So zerlegen wir gemeinsam Abende lang erst seinen Wassermacher in seine Grundbestandteile und ersetzen alle Dichtungen und Simmerringe. Sobald der erste Wassermacher wieder betriebsbereit ist, kommt Mabuls an der Reihe. Nun kennen und verstehen wir das Innenleben und sind beide begeistert von der hervorragenden Ingenieursleistung des Herstellers. Der Aufbau ist simpel und dennoch extrem langlebig aufgebaut, das schafft Vertrauen und Zuversicht, dass beide Geräte nun einige Saisons ohne weitere Zuneigung ihren Dienst verrichten werden.

Die Holzarbeiten kommen auch langsam in Schwung. Leo, der junge Chef der Schreinerwerkstatt, kümmert sich um die Restaurierung unseres Cockpit-Tisches, bringt die Holzumrandungen der Deckluken wieder auf Vordermann und beseitigt allerlei Wasserflecken im Interieur. Das bedeutet zuerst jedoch noch mehr Dreck und Schleifstaub auf Mabul, aber des ist inzwischen eigentlich egal. Die Arbeiten an Deck und im Cockpit werden erst in Angriff genommen, wenn das Deckprojekt abgeschlossen ist.

Leo in seiner Werkstatt mit unserem Tisch

Während Joel und Kevin an Deck alle alten Löcher vom Teak Deck abdichten und eine Lage Glasfaser mit Polyesterharz drauflaminieren, baue ich die neue manuelle Toilette ein und schließe bei unserer elektrischen den Schwarzwasser Tank an. Den brauchen wir, sollten wir nach Galapagos segeln. Also Klempnern vom Feinsten mal wieder. Aber mit den Toiletten ist es nicht getan. Der Wassermacher bekommt eine sogenannte Bubblebox, damit er auch unter Fahrt laufen kann, ohne Luft anzusaugen. Dazu ziehe ich den Feinfilter in einen Kasten um – auch hier wieder viel Arbeit mit störrischen Schläuchen und Schellen.

Nun sind inzwischen gute vier Wochen vergangen und ich beende meine Spanisch Stunden mit Pablo. Ich merke, dass es mir mehr bringt auf der Werft mit Joel und Kevin zu sprechen, als weiter in die Tiefen der Grammatik einzutauchen. Ich komme vorerst mit Gegenwart, Vergangenheit und dem einfachen Futur zu Recht. Dann kommt Karin zurück aus der Schweiz und übernimmt wieder die Übersetzungsarbeiten. Endlich, die letzten Wochen alleine waren ein Kampf. Nicht nur ein paar Mal hätte Sie mir ganz einfach mit ihrem exzellenten Spanisch aus der Patsche oder bei den diversen Preisverhandlungen helfen können. Aber dann hätte ich wohl gar nichts gelernt, so musste ich sprechen, wenn auch meist fehlerbehaftet…

Dann kommt die erste Hiobs Botschaft von Joel. Sie haben versehentlich ein Kabel des Geräteträgers durchtrennt. Ich habe zwar mehrfach drauf hingewiesen, dass im Rohr des Geräteträgers viele Kabel verlaufen, aber naja. Die Werft hat sich ja schon anfangs damit gebrüstet, dass sie eine Versicherung haben und sich sehr gut um die Rechte ihrer Arbeiter kümmern. Also sollte das kein großes Ding werden. Allerdings stellt sich heraus, dass ganze drei Kabel defekt sind und zwar vom aktiven Radarreflektor und beide VHF/AIS-Ersatzantennen. Die Ersatz VHF-Antenne entsorge ich kurzerhand und nutze deren Kabel, um endlich das Starlink Kabel vernünftig unter Deck zu ziehen. Das war die gute Nachricht. Die alte AIS-Antenne hat keinen Stecker, sondern ein vergossenes Kabel, hier muss also Ersatz her. Es soll am Ende eine kombinierte VHF/AIS-Antenne werden (die Frequenzen liegen eng beieinander), die wir von der Werft erhalten sollen. Besser als zuvor, kostenlos und einfach zu tauschen.

Hier ist es passiert: beide Rohre des Geräteträgers sind prall gefüllt mit Kabeln – und diese werden von den Arbeitern angeschnitten

Beim Radarreflektor beginnt dann aber das Problem, ohne dass ich anfangs mitkriege, dass es ein Problem gibt. Dieser Radarreflektor hat auch ein vergossenes Kabel. Ein neuer, inkl. Import nach Guatemala, kostet satte 1800 USD. Daniel, der technische Manager der Werft, sagt umgehend „Scheiße gelaufen, unser Fehler, ich bestelle einen Neuen!“. Super denke ich und lasse das Thema ruhen, da der Import einige Zeit dauern wird und wir ja eh noch Wochen, ja gar Monate, hier sein werden.

Ich nutze die ganze Kabelzieherei auf Mabul und entferne wieder tote Kabel. Auch die gesamte antike TV Installation fliegt raus, inklusive der am Masttop angebauten UFO-Antenne. Unglaublich, wie viele unnütze Kabel ich entferne, es müssen einige hundert Meter gewesen sein. Und ich entferne längst nicht alles, da sich alte Kabel prima eignen, um neue damit durchs Boot einzuziehen. Wer weiß, wann man das mal braucht.

An Deck geht es voran, Teakbelag und die Beschläge sind alle ab, außer die über vier Meter langen Holepunkt Schienen für die Vorsegel. Während ich noch grüble und mit Martin die wildesten Ideen dazu beim abendlichen Technik Umtrunk entwickle, beginnen Joel und Kevin den Lack am Spiegel (das ist das Heck des Bootes) abzuschleifen. Hier haben wir einige Schrammen und Lackblasen, daher wollen wir diesen Teil, und nur diesen, neu lackieren lassen. Als Joel die Schleifmaschine ansetzt, staunen wir alle nicht schlecht. Statt feinem giftigen Epoxy-Staub löst sich die Farbe in großen Blättern fast von alleine von ihrer Grundierung. Kevin sagt sofort: „Schau Alex, die Grundierung wurde viel zu fein angeschliffen. Klar kann der Lack so nicht haften.“ Er fährt mit erfahrener Hand über den weißen Untergrund.

So sollte das nicht aussehen, wenn der Lack korrekt auf der Grundierung haftet…

Was die Beiden anscheinend nicht wissen: Mabul wurde genau hier, vor fünf Jahren, neu lackiert. Dieser Fehler wurde also hier gemacht und nun haben wir den Salat. Natürlich denke ich sofort, wenn das am Spiegel der Fall ist, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass auch der restliche Rumpf betroffen ist.

Da wir zwischenzeitlich beschlossen haben, auch die Wasserlinie neu lackieren zu lassen, habe ich eine Idee, wie man die restliche Lackierung testen kann, ohne größeren Schaden anzurichten. So mache ich mit Daniel und Karen, sie ist die General Manager der Werft und hatte die Arbeiten vor fünf Jahren überwacht, aus, dass an der Wasserlinie überprüft werden soll, ob der Lack sich auch hier fast von alleine lösen lässt. Bevor das geschieht, sind wir mal wieder in Nachverhandlungen, da wir schließlich die neue Teillackierung nur deshalb überhaupt brauchen, da hier vor fünf Jahren nicht korrekt gearbeitet wurde. So bekommen wir das Angebot einer kompletten Lackierung für 6000 USD, das wären „nur“ gute 2500 USD mehr als für Spiegel und Wasserlinie. Wir danken für das Angebot und verbleiben so, dass wir nun überlegen was wir eigentlich wollen und bis am kommenden Montag eine Entscheidung fällen werden.

Nach einigem Hin und Her kommen Karin und ich zum Schluss, dass es uns das Geld nicht wert ist, und wir es bei Wasserlinie und Spiegel belassen. Das Testen der Wasserlinie hat im Übrigen ergeben, dass hier wirklich geschliffen werden muss, der Lack haftet also wie er soll. So haben wir die Hoffnung, dass nur der Spiegel betroffen ist. Am Sonntag Abend schreibe ich noch sicherheitshalber eine Email an beide Manager mit unserer Entscheidung.

Tags darauf fahre ich morgens mit dem Dinghy über den Rio Dulce, mein täglicher Arbeitsweg seit nunmehr fast acht Wochen, und staune nicht schlecht, als ich vor Mabul stehe. Inzwischen kann ich nur noch lachen, aber so Recht kann ich meinen Augen dann doch noch nicht trauen… An Mabuls Rumpf haben die Arbeiter bereits begonnen, den Lack zu entfernen! Und dort kommt er wieder in DIN-A4 großen Fetzen ab.

Hier ist nichts mehr zu retten, der Lack ist bereits ab…

Ich weiß nicht, ob ich das jetzt gut oder schlecht finden soll, bin aber froh, dass ich der Werft am Abend zuvor eine E-mail geschrieben habe. Schwarz auf Weiß stand da drin, dass wir die ganze Lackierung nicht wollen…

Wie es weitergeht, erfährst du im nächsten Blogeintrag.

Weitere Fotos vom Refit Mabuls findest du hier: Refit Teil 1 und Refit Teil 2.

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Veröffentlicht von Alex

1 Kommentar

Lieber Alex
Mir ist schwindlig geworden als ich deinen Bericht aus der guatemaltekischen Werft gelesen habe. Dabei ist auch der Respekt für deine und Karins Arbeit mächtig gestiegen. Unglaublich. Wie du dir in den letzten Jahren den Zugang zu jeder Ecke dieses eindrücklichen Schiffes verschafft hast und zu grossen Erkenntnissen gelangt bist.

So kann man verstehen, dass man zu einem solchen Schiff wie zu einem Wesen eine enge Beziehung bekommt.
Kompliment und euch beiden eine sichere gute Fortsetzung.
Herzlichste Grüsse – immer auch an Karin.
Georges

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