Nach vielen heißen und anstrengenden Monaten in den Mangroven – vollgepackt mit unzähligen Bootsprojekten – ist es endlich Zeit für eine kleine Auszeit. Wir lassen Mabul nach den letzten Arbeiten fast schon überhastet zurück, steigen ins Flugzeug und starten unsere Bootspause in Kolumbien. In Pereira landen wir, und kurz darauf zieht uns das charmante Salento in seinen Bann. Eine große Reiseplanung? Fehlanzeige. Alles, was feststeht: In zweieinhalb Wochen fliegen wir von Medellín zurück nach Panama – was dazwischen passiert, zeigt das Abenteuer.
Von Pereira bekommen wir eigentlich nur den Flughafen zu sehen. Ein Taxi holt uns ab und bringt uns direkt weiter nach Salento – ein malerisches, aber auch ziemlich touristisches Dorf, gut eine Stunde entfernt. Während der Fahrt krame ich nach meinen Kopfhörern und halte plötzlich die Schlüssel von Mabul in der Hand. Ungläubig starre ich sie an – die sollten definitiv nicht hier sein. Normalerweise lässt man Bootsschlüssel je nach Lage in der Marina oder an Bord zurück, falls jemand im Notfall helfen muss. Naja, wir sind ja nur für ein paar Wochen unterwegs, das wird schon gutgehen …

Und als wir ankommen, fühlt sich Mabul auf knapp 2000 Metern über dem Meer plötzlich unendlich weit entfernt an. Das Klima ist frisch und kühl, und wir saugen die angenehm trockene Luft tief in uns auf. Zum ersten Mal seit meinem Heimaturlaub ziehe ich wieder lange Kleidung und meine bewährten, leichten Bergschuhe an – und trotzdem fröstle ich am Abend ein wenig. Für die ersten Nächte haben wir uns im wunderschönen, ruhigen Terrazas de Salento Hotel einquartiert, um anzukommen und von hier aus unsere weitere Route zu planen.
Wir lassen es bewusst langsam angehen, schlendern ein wenig durch das Städtchen und entdecken, was es hier alles zu erleben gibt. Salento liegt mitten in der Kaffeeregion Kolumbiens – überall duftet es nach frisch gerösteten Bohnen, kleine Röstereien laden zum Probieren ein, und in den gemütlichen Cafés gibt es richtig guten Kaffee. Wer möchte, kann sogar Kaffeetouren durch die umliegenden Fincas machen. Fast noch wichtiger für mich: die unzähligen Restaurants. Dank des Tourismus finde ich hier endlich mal wieder eine große Auswahl an vegetarischen Gerichten – und ich genieße es sehr, kulinarisch auf meine Kosten zu kommen. Kochen, das können die Kolumbianer einfach richtig gut.
Ich mache mich alleine auf den Weg zu den Santa Rita Wasserfällen, während Karin lieber das Dorfleben genießt. Mit Wasser, Kamera und Snacks im Rucksack laufe ich los, nach einer halben Stunde verlasse ich die Straße und folge schmalen Trampelpfaden. Ein Wanderer kommt mir entgegen und warnt, dass der Weg an einer Finca mit Gästezimmern endet und man dort nicht weiterkommt. Ich hatte allerdings gelesen, dass 5.000 Pesos – knapp ein Euro – als Mautgebühr akzeptiert werden. Also gehe ich weiter. Wenig später treffe ich einen freundlichen Kolumbianer, der auf der Finca arbeitet. Nach einem kurzen Gespräch und dem Wegegeld führt er mich über das Grundstück, erklärt mir den weiteren Weg und verabschiedet sich mit einem Lächeln und einem „Feliz día“.

Nach einem matschigen Abschnitt und einer Flussdurchquerung barfuß erreiche ich schließlich Santa Rita. Auch hier ist längst alles touristisch erschlossen, der Wasserfall wurde zur Bezahlattraktion gemacht – wie ich sowas liebe… Doch offenbar rechnet man nicht damit, dass jemand alleine zu Fuß ankommt. Der große Parkplatz für Reisebusse ist jedenfalls komplett leer. Am offenen Eingang mit Tickethütte rufe ich vorsichtig „¡Hola?“, aber niemand reagiert. Also zucke ich mit den Schultern, lasse die Souvenirshops links liegen und gehe weiter. Der Pfad schlängelt sich durch eine wunderschöne Landschaft, über wackelige Hängebrücken und schließlich bis zum Santa Rita Wasserfall. Und was soll ich sagen – es ist eben ein Wasserfall, nicht mehr und nicht weniger. Vielleicht bin ich da etwas verwöhnt, aber das macht nichts, denn der Weg ist hier das Ziel. Für den Rückweg wähle ich eine andere Route und tauche in feuchten Regenwald ein. Mehrmals geht es durch kleine Höhlen und über Hängebrücken, überall summt und piept es von unsichtbaren Waldbewohnern. Zurück an der Hauptstraße setzt plötzlich starker Regen ein. Als klar wird, dass er so schnell nicht nachlässt, winke ich mir ein Tuktuk heran, das mich klatschnass, aber zufrieden zurück ins Hotel bringt.
Am späten Nachmittag meldet sich Eric, unser Nachbar aus der Panamarina. Er und Jamie wollen wissen, wie uns Kolumbien gefällt – die beiden planen demnächst eine ähnliche Tour, um auch mal etwas Abstand vom Boot zu bekommen. Nebenbei erzählt Eric, dass es in Panama seit unserem Aufbruch praktisch ununterbrochen regnet. Das ist inzwischen vier Tage her, und wir haben den Kühlschrank als größten Verbraucher laufen lassen. Ohne Sonne zieht das natürlich ordentlich an Mabuls Batterien, da sie nicht am Landstrom hängt. Noch ist alles im grünen Bereich, trotzdem bitte ich Eric, am nächsten Tag mal den Ladezustand am Batteriewächter auszulesen. Zum Glück braucht er dafür keinen Schlüssel…
Am nächsten Tag wollen wir ins berühmte Cocora-Tal, wo die riesigen Wachspalmen in den Himmel ragen. Ein Instagram-Selfie-Influencer-Wahnsinn-Ort wie er im Buche steht – und trotzdem atemberaubend schön und absolut einzigartig. Während unserer Bootspause in Kolumbien freue ich mich besonders auf diesen Ausflug. Doch leider wache ich mit Halsschmerzen auf und merke sofort: Ich werde krank. Vermutlich eine Mischung aus Stressabfall, dem krassen Klimawechsel und der nassen Wanderung am Tag zuvor. Die große Rundtour durchs Valle de Cocora kann ich mir damit abschminken, aber zumindest bis zu einem Aussichtspunkt sollte es machbar sein.

Als wir ankommen, hängen die Wolken tief, und der Nebel ist so dicht, dass man ihn fast schneiden könnte. Trotzdem ist der Anblick atemberaubend. Uns war gar nicht klar, dass Palmen auf dieser Höhe und in so kühlem Klima wachsen können. Wir meiden den Hauptstrom an Touristen, der zu einem künstlich angelegten Selfie-Spot führt, und landen stattdessen auf einer kleinen Plattform etwas abseits. Von hier haben wir eine fantastische Aussicht ins Tal – hinunter auf die höchsten Palmen der Erde. Und dann, fast wie zur Belohnung, bricht die Sonne durch die Wolken und taucht die Szenerie in ein unglaubliches Lichtspiel. Nach einem Kaffee mit Schuss und Zitrone – soll ja Wunder wirken bei Erkältung – machen wir uns auf den Rückweg und begegnen unterwegs noch Pferden und Eseln, die neugierig unsere Aufmerksamkeit einfordern.
Dann kommt noch ein kurzes Update von Eric: Mabuls Batterien sind an Tag fünf schon unter 60 % gefallen – und es regnet immer noch ohne Pause. Jetzt wird es langsam kritisch, denn wir haben ja noch Blei-Batterien. Normalerweise würde ich in so einer Situation den Generator starten, aber der lässt sich nur unter Deck einschalten, und da kommt Eric ohne Schlüssel nicht hin. Als Notlösung wirft er deshalb Mabuls Motor an und lässt ihn zwei Stunden laufen. Das sollte reichen, um noch ein, zwei weitere Regentage zu überbrücken.

Früh am Abend falle ich erschöpft, aber zufrieden ins Bett und hoffe, dass der Schlaf meine Erkältung lindert. Doch am nächsten Morgen ist es leider genau umgekehrt – ich fühle mich richtig schlecht. Und ausgerechnet heute steht der Umzug ins Glamping an. Wenigstens ist es nicht weit, und Karin hat schon alles organisiert. Also ziehe ich alles Langärmlige an, das ich finde, und schleppe mich mit laufender Nase ins Taxi. Kurz darauf erreichen wir das Glamping Rustiko – und der Name ist Programm. Das Zelt ist ein Zelt, die Einrichtung rustikal. Draußen bleibt das Wetter feucht-fröhlich, drinnen verkrieche ich mich in voller Montur unter alle Decken, die ich finde. Am frühen Abend kommt zum Schnupfen noch leichtes Fieber dazu, ich verkrieche mich tiefer unter die Decken, während meine Gedanken im Halbschlaf um alles und nichts kreisen.
Bis sie wieder bei Mabuls Batterien ankommen. Beim überhasteten Aufbruch habe ich etwas Entscheidendes vergessen. Die Starterbatterie ist nicht mit den Verbraucherbatterien verbunden, weil ich einen Schalter nicht umgelegt habe. Das heißt, dass gestern beim Motorlauf nur die Starterbatterie geladen wurde – und nicht die Verbraucherbatterien! Mein Hirn rechnet sofort auf Autopilot: Die müssen inzwischen längst unter 50 % gefallen sein. Genau dort liegt die kritische Grenze, unterhalb derer Bleibatterien dauerhaft Schaden nehmen. Wenn jetzt also nicht geladen wird, saugen Kühlschrank und Gefrierbox eine weitere Nacht an den Batterien, bevor dann vielleicht, vielleicht Sonne auf die PV Anlage fällt. Und das könnte die erst ein Jahr alten Batterien ruinieren.

Also was tun? Nichts? – Dann haben wir ein neues, ziemlich teures Projekt, sobald wir zurück sind. Jemand muss also noch heute Abend in Mabul einbrechen, weil ich Depp den Schlüssel mitgenommen habe! Nur so kann der Generator gestartet werden, um die Verbraucherbatterien zu laden. Eric ist nicht erreichbar, die Marina hat längst Feierabend. Dann fällt mir Jack ein, zu dem ich einen guten Draht habe, schließlich kennen wir uns schon lange und er ist ein Macher. Ich rufe ihn sofort an und erkläre ihm halb im Fieberwahn den Plan: Ja, einbrechen auf Mabul! Wann? Jetzt! Ok, wie? – Ich beschreibe ihm, wie er mit minimaler Zerstörung den Niedergang aufbrechen kann. Sein Kommentar: „Das kostet dich einige Biere!“
Keine halbe Stunde später ruft er mich per Video Call zurück. Er sitzt mit seiner dreiköpfigen Crew auf Mabul, dazu ein Sixpack Bier griffbereit, für alle Eventualitäten. Der Einbruch lief wie am Schnürchen, nur ein bisschen Plexiglas muss irgendwann wieder geklebt werden. Der Generator läuft bereits, die Spannung der Verbraucherbatterien steigt, alles bestens also. Ich atme auf – was für eine Erleichterung! Doch kaum will ich mich für diesen nächtlichen Notfalleinsatz bedanken, sagt Jack trocken: „Du weißt schon, dass du ein Leck im Motorraum hast?“ Mein Fieberhirn weigert sich das zu kapieren, bis er die Kamera dreht. Und tatsächlich: Unter dem Motor sprudelt es fröhlich an der Wellendichtung hinein, das Wasser hat inzwischen auch die Duschwanne vor dem Motorraum gefüllt. Noch etwas habe ich vor der Abreise vergessen: Die Bilgenpumpe ist nicht scharf geschalten! Zum Glück ist das Wasser weiter in die Hauptbilge gelaufen, wo die dortige Bilgenpumpe eifrig alles in hohen Bogen über Bord pumpt. Ich kann es nicht fassen!
Logischerweise muss das Leck sofort behoben werden – und ich habe auch schon eine Vermutung: Gestern, als Eric die Maschine laufen ließ, hat die Vibration des Motors und damit auch der Welle, Dreck zwischen die Dichtflächen der Wellendichtung gebracht. Diese PSS-Dichtung funktioniert im Grunde ganz simpel: Zwei plane Flächen, Rotor und Stator, pressen sich aufeinander und dichten so ab. Wenn da Schmutz dazwischen gerät, kommt Wasser rein. Hatten wir schon mal kürzlich, als wir in San Blas unterwegs waren. Karin textet inzwischen mit Nelson, den man ja bereits aus diesem Blog kennt, damit er auch noch an Bord kommt und dieses Problem löst. Zum Glück ist er noch erreichbar und auch zu Hause, so haben wir plötzlich insgesamt fünf Leute an Bord Mabuls, während wir in den kolumbianischen Anden im Zelt sitzen… Nelson bestätigt meine Diagnose und kriecht kopfüber in den Motorraum. Jack hält die Kommunikation am Laufen, seine Crew schöpft Wasser, und Nelson bringt die Dichtung mit ein paar Handgriffen wieder dicht.
Und dann ist es geschafft: Leck behoben, Motorraum trocken gelegt, Generator läuft, Batterien werden geladen. An dieser Stelle nochmals größten Dank an alle Beteiligten – ohne euch wäre Mabul schlicht abgesoffen. Langsam zwar, aber unausweichlich. Denn Kühlschrank und Bilgenpumpe hätten die Verbraucherbatterien irgendwann komplett geleert, und sobald die Pumpe stoppt, steigt das Wasser weiter, bis nichts mehr zu retten ist. Immerhin wäre Mabul nicht weit gekommen, so nah an den Mangroven. Doch der Schaden wäre verheerend gewesen. Also: Alle dürfen auf unsere Rechnung fröhlich weitertrinken, ich beende den Video Call – und bin mir in meinem fiebrigen Zustand nicht einmal sicher, ob das alles gerade wirklich passiert ist. Wenige Augenblicke später falle ich in einen erschöpften, traumlosen Schlaf.

Am nächsten Morgen können wir immer noch nicht fassen, was da passierte. Keine fünf Tage allein, und schon macht Mabul Anstalten, sich selbst zu versenken. Ja, eine erstaunliche Verkettung unglücklicher Umstände – aber am Ende mein Fehler: Schlüssel mitgenommen, Bilgenpumpe im Motorraum nicht aktiviert, Batteriebänke nicht verbunden. Beim nächsten Mal nehme ich mir Zeit und bereite Mabul besser aufs Alleinsein vor. Der schnelle Aufbruch in die Bootspause in Kolumbien ist eine Lektion.
Nach drei Tagen im Zelt mit grandiosem Blick auf die Berge rund um Salento verlassen wir Glamping Rustiko und machen uns auf den Weg zu den Thermalthermen von San Vincente. Das Fieber ist weg, doch ich fühle mich noch schwach – ob Baden auf 2.500 Metern Höhe da die beste Idee ist? Als wir ankommen, verschlägt es uns die Sprache. Die Quellen entspringen mitten in einer überwältigenden Dschungellandschaft, eingerahmt von zwei Bergketten. In den Alpen wäre man auf dieser Höhe längst über der Baumgrenze, hier dagegen scheint die Natur erst richtig zu explodieren. Ich habe schon einige tropische Wälder gesehen, aber das hier ist eine andere Dimension. Mir kippt einfach die Kinnlade runter beim Anblick dieser Flora und Fauna. Farne so hoch wie Bäume, unzählige Kolibriarten, Pflanzen, die übereinander wuchern und ineinander verschmelzen. So sieht Natur aus, wenn der Mensch fernbleibt – und doch liegen die Becken der Therme nur einen Steinwurf entfernt.

Da ich immer noch angeschlagen bin, verbringe ich meine Zeit lieber damit, den Wald und seine geflügelten Bewohner zu beobachten, während Karin sich in allen Becken der Therme ausgiebig durchweichen lässt. Ursprünglich wollten wir nur eine Nacht bleiben, doch schnell ist klar: es muss mindestens eine weitere sein. Schließlich wage auch ich mich vorsichtig ins Wasser. Erst kurz vor dem Thermalbecken tausche ich die langen Klamotten gegen die Badehose, wärme mich im natürlichen Dampfbad auf – und hüpfe schließlich rein ins warme Nass. Einfach herrlich.
Die Bootspause in Kolumbien tut uns beiden unglaublich gut – so sehr, dass wir einen neuen Entschluss fassen: Wir wollen mehr davon. Mehr vom Land, mehr von Kolumbien, mehr von gutem Essen, mehr von diesem angenehmen Klima. Unseren Pazifiktraum geben wir deshalb aber nicht auf. Doch bevor es so weit ist, müssen wir beide erst wieder zu Kräften kommen – und das schaffen wir nicht in diesem kurzen Urlaub. Eigentlich liegt es auf der Hand: Wir sind bereits spät in der Saison, die Bootsarbeiten sind noch nicht vollständig abgeschlossen und nach drei Jahren auf See täte uns eine echte Auszeit vom Bootsleben sicher gut. Also verschieben wir die Pazifiküberquerung, werden aber zu Mabul zurückkehren, um sie dieses Mal gewissenhaft für eine längere Pause vorzubereiten und an Land zu parken. Danach soll es wieder zurück nach Kolumbien gehen, denn Land und Leute haben uns vom ersten Moment an begeistert. Die große Frage bleibt nur: Wohin genau? Wir haben etwa drei Monate Zeit – und wollen nicht ganz Kolumbien bereisen, sondern an einem schönen Ort leben und zur Ruhe kommen. Deshalb beschließen wir, den Rest dieses Urlaubs bewusst nach den verschiedenen Klimazonen des Landes auszurichten.

Wir wollen keinen heißen Ort am Meer, weder an der Karibik- noch an der Pazifikküste – davon hatten wir genug. Salento und erst recht San Vincente sind uns dagegen auf Dauer zu kalt und zu feucht. Hier trocknet nichts, was man draußen aufhängt, selbst wenn es einmal nicht regnet. Die Wahrheit liegt also irgendwo zwischen 0 und 2000 Metern über dem Meeresspiegel. Also machen wir uns auf die Suche nach unserem nächsten Zwischenstopp, weiter Richtung Medellín, aber deutlich niedriger und trockener soll es sein. Es dauert nicht lange, bis wir das Hotel Tahiti entdecken, eingebettet in Zitronenhaine auf 600 Metern Höhe. Die Bilder erinnern an die trockene Toskana: kleine Privatvillen mit traumhaftem Ausblick. Wir zögern nicht lange und buchen Villa und Fahrtgelegenheit.
Tags darauf verlassen wir die feuchten Höhenlagen und fahren mehrere Stunden, bis wir schwitzend in Puente Iglesias aus dem Taxi steigen. „Warm hier“, ist unser erster Gedanke – und gleichzeitig auch: „Endlich wieder Sonne!“. Die Landschaft wirkt sofort anders: keine Nebelschwaden mehr, sondern klare, trockene Luft, Zitrushaine soweit das Auge reicht. Wir beziehen unsere Villa im Hotel Tahiti und genießen die Abgeschiedenheit, unseren kleinen Privat-Jacuzzi und die exzellente Küche im Restaurant. Es fühlt sich fast wie ein kleiner Luxusurlaub im Urlaub an. Doch schnell merken wir auch, warum die Villa mit einer Klimaanlage ausgestattet ist. In der Mittagshitze hält man es draußen kaum aus, und sobald die Sonne untergeht, erwachen unzählige Plagegeister. Mücken, Fliegen und anderes Kleingetier lassen uns kaum in Ruhe. Die riesigen Zitronen-Monokulturen, die zunächst idyllisch wirken, verlieren ihren Zauber schnell. Im Vergleich zum überwältigenden Regenwald von San Vincente erscheint die Umgebung hier eher monoton und ein wenig leblos.

Trotzdem erfüllt dieser Stopp einen wichtigen Zweck: Endlich trocknet wieder alles, was wir in den letzten Tagen im Dauerniesel von Salento und San Vincente kaum geschafft haben. Und er bringt uns der Antwort auf unsere große Frage näher: Wo genau wollen wir die nächsten Monate unserer Bootspause in Kolumbien verbringen? Hier in Puente Iglesias ist es uns eindeutig zu warm, zu viele Mücken und zu einseitig in der Vegetation. Immerhin können wir unsere Wohlfühlgrenze weiter eingrenzen: Irgendwo zwischen 600 – 2000 Meter muss sie liegen.
Nichts würde mehr Sinn machen, als den nächsten Stopp in die goldene Mitte zu legen: ungefähr 1300 Meter über dem Meer. Die Auswahl an Orten ist allerdings recht begrenzt, zumal wir uns weiterhin Schritt für Schritt Richtung Medellín bewegen wollen. Im Grunde kommt nur die Gegend um den markanten Cerro Tusa in Frage. Dieser Berg ragt wie ein grüner Kegel aus der Landschaft, exponiert und unverwechselbar, und genau hier liegt auch die passende Unterkunft. Das Hotel Cerro Tusa Springs verspricht Erholung inmitten einer spannenden Umgebung, ideal also für unseren letzten Zwischenstopp, bevor wir Medellín erreichen. Ganz perfekt ist es jedoch nicht, denn freie Zimmer gibt es nur noch für eine Nacht. Wir nehmen es trotzdem – manchmal muss man den Moment nutzen, auch wenn er kurz ist.
Und so machen wir uns abermals auf den Weg und staunen nicht schlecht, als wir dort ankommen. „Influencer’s Paradise“ beschreibt es wohl am besten. Das gesamte Gelände wirkt wie eine Bühne für perfekte Fotos: riesig, abwechslungsreich und voller Spots, die wie geschaffen scheinen, um sich in Szene zu setzen. Das Gelände ist riesig, fast schon wie ein eigener Park, in dem man locker ein kleines Wanderprogramm absolvieren könnte. Immer wieder stoßen wir auf Überraschungen: mehrere unterschiedlich gestaltete Poollandschaften, eine Baumwipfelroute mit langen Hängebrücken und weiten Ausblicken über das Tal, und sogar ein großes Shala, in dem offenbar regelmäßig psychedelische Retreats stattfinden. Auch kulinarisch lässt sich das Resort nicht lumpen: Die Küche bietet erstaunlich viele vegetarische Gerichte, fein zubereitet und abwechslungsreich. Wir gönnen uns zwei volle Tage im Luxus – wechseln zwischen Sauna, Pool, gutem Essen, kurzen Spaziergängen durchs Gelände und einfach nur Sein.

Am Hauptpool schließlich erleben wir eine Szene, die für uns fast schon den Unterhaltungswert eines kleinen Theaterstücks hatte: Während nebenan ein aufblasbarer Schwan träge auf dem Wasser dümpelt, posiert eine Influencerin mit all dem, was dazugehört – Kussmund, Posen, endlose Wiederholungen. Ihr augenscheinliches Alleinstellungsmerkmal: ihre offensichtlich operierten Vorzüge. Ihre Freundin hinter der Kamera dokumentiert alles in epischer Breite, jede Bewegung, jedes Detail. Produktplatzierung zum Anfassen. Für uns herrlich amüsant, das einmal live mitzuerleben – aber definitiv eine Art von Arbeit, die man mögen muss.
Und dann wieder ein harter Schnitt: Wir ziehen um in die Hacienda San Francisco. Dieses Mal sind wir die einzigen Gäste, und der Besitzer nimmt sich viel Zeit für uns. Nicht nur, dass er uns persönlich aus dem „Influencer’s Paradise“ abholt – er führt uns am Abend sogar noch ins nahegelegene Dorf Venecia zum Essen aus. Später sitzen wir in seiner kleinen Bar, wo uns der Miniesel Pancho Gesellschaft leistet und mit schelmischem Blick so tut, als wolle er am liebsten auch einen Drink mit uns nehmen. Nach drei Tagen hier sind wir uns einig: Das ist es! Genau das Klima, das wir gesucht haben. Tagsüber warm, aber nicht drückend, nachts angenehm kühl zum Schlafen – ganz ohne Klimaanlage. Der Pool ist eine willkommene Abwechslung, aber keine Notwendigkeit. Ein paar Mücken gibt es zwar, doch die sind erstaunlich harmlos und selbst ohne hochprozentiges DEET Moskitospray leicht auszuhalten. Sogar Karin kommt bestens damit klar – und das will wirklich etwas heißen.

Mission erfüllt – es geht weiter nach Medellín. Allerdings nicht direkt in die Millionenmetropole, sondern zu Freunden, die sich im nahegelegenen Santa Elena seit gut einem Jahr niedergelassen haben. Dini und Pablo mit ihren drei Kindern haben wir bereits in Guatemala kennengelernt, und seitdem kreuzen sich unsere Wege immer wieder. Auch sie haben ihr Boot Da Capo in der Panamarina eingestellt – genauso wie wir während unserer Bootspause in Kolumbien. Zum ersten Mal treffen wir uns nun an Land, in ihrem neuen Zuhause. Es fühlt sich herrlich vertraut an, einmal nicht in einem anonymen Hotel zu übernachten, sondern echte Zeit mit Freunden zu verbringen. Kaum angekommen, spannt mich Pablo schon in verschiedene Projekte ein: Zuerst soll der Rasentrimmer wieder anspringen – ein winziger Vergaser, der sich störrisch gibt, doch nach ein paar Handgriffen läuft er wieder. Ob dauerhaft, bleibt fraglich. Danach geht’s weiter mit einer defekten Klospülung und dem Einbau eines Trinkwasserfilters. Es fühlt sich fast wie ein typischer Bootsarbeitstag an – nur eben an Land. Aber das macht nichts, im Gegenteil: Am Ende des Tages haben wir alles geschafft, was auf der Liste stand, und alle sind zufrieden. Und während Pablo am Haus werkelt, hat sich Dini mit viel Herz und Energie ihr Refugio Zen aufgebaut – ein Ort für Yoga Retreats, Meditation und Breathwork inmitten der grünen Natur von Santa Elena.

Nach drei intensiven Tagen im Familienleben heißt es für uns wieder Abschied nehmen. Vielen Dank an Dini und Pablo für die herzliche Gastfreundschaft und die gemeinsame Zeit! Wir haben zusammen gekocht, gegessen, gelacht und einfach den Alltag miteinander geteilt – von kleinen Projekten im Haus bis hin zu gemütlichen Abenden bei gutem Essen. Nun ziehen wir weiter nach Medellín, um noch etwas Großstadtluft zu schnuppern, bevor es wieder aufs Boot zurückgeht. Der Weg dorthin führt über eine Seilbahn, die uns vom fast 1000 Meter höher gelegenen Santa Elena direkt hinunter in die Stadt bringt. Anfangs gleitet die Bahn ruhig über dichten Wald, der sich wie ein grünes Meer unter uns ausbreitet.
Dann erreicht die Seilbahn die Abbruchkante des Geländes, und plötzlich öffnet sich der Blick über das gesamte Tal. Die Stadt breitet sich weit und breit vor uns aus, bis zum Horizont. Straßen, Hochhäuser und der Verkehr wirken klein, aber gleichzeitig überwältigend nach so viel unberührter Natur. Die Geräusche der Wälder weichen dem Brummen der Stadt, und der Übergang von Stille und Grün zu Beton und Menschen wird sofort spürbar.

Wir checken in einem Hostel im Viertel El Poblado ein und machen uns auf, die nähere Umgebung ein wenig zu erkunden. Zuerst geht es zum Friseur, und danach gönnen wir uns ein indisches Abendessen. Die Aromen, die Gewürze, das Zusammensitzen und Essen – nach so vielen Tagen unterwegs ist das ein kleines Highlight. Anschließend ziehen wir noch auf einen Drink los. Zuerst testen wir die Rooftop-Bar des Hostels, doch dort finden wir nur junge Leute bei lauter, schlechter Musik. Also entscheiden wir uns für eine Bar in der Nähe, doch es ist noch viel zu früh, kaum jemand ist da, und ehrlich gesagt habe ich nicht wirklich Lust, mich ins Nachtleben zu stürzen. Weder die Bar noch das Hostel oder die gesamte Stadt können mich wirklich begeistern.
Und so verlasse ich nach einer Nacht die Stadt wieder. Die Hektik, der Verkehr, der Tourismus und der Stadtgestank – all das wirkt nach den letzten Wochen in der Natur plötzlich noch intensiver und eher belastend als spannend. Stattdessen suche ich ein ruhiges Hotel in der Nähe des Flughafens und genieße die Stille, die hier herrscht. Um mich herum fliegen Hochland-Motmots, die immer wieder interessiert in meine Linse blicken. Karin kommt am Abend nach, und wir verbringen gemeinsam eine letzte ruhige Nacht, nur wir beide, weit weg vom Trubel. Am nächsten Morgen endet dann die Bootspause in Kolumbien: wir machen uns auf zum Flughafen, fliegen zurück nach Panama und zurück auf Mabul, zu unserem Boot, unserem schwimmenden Zuhause.
Weitere Fotos findest du in dieser Galerie, und hier die Aufnahmen vom Birding in Kolumbien.
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Schöner Beitrag, danke fürs Teilen. Klingt nach genau der richtigen Mischung aus Erholung und Abenteuer – hast du unterwegs Tipps, wo man in Salento besonders guten, vegetarischen Kaffee findet oder welche Kaffeetouren du empfehlen würdest?