25. Mai 2025

Gestrandet in der Linton Bay

Anfang Februar erreichen wir die Linton Bay – noch ahnen wir nicht, dass wir länger hier gestrandet sein werden. Doch länger an einem Ort zu verweilen, hat auch seine Vorteile. Man lernt die Bewohner auf den Booten und an Land kennen. Diese Menschen und ihre Geschichten sind in der Linton Bay besonders interessant – und vielfach auch ziemlich schräg.

Als wir unter Maschine in der Linton Bay auf Ankerplatzsuche sind, hören wir wieder unliebsame Geräusche vom Antrieb. Bald ist klar: Mabul muss noch einmal aus dem Wasser, das Wellenlager muss wieder getauscht werden und wir müssen unsere Pläne schon wieder über den Haufen werfen. Dabei ist meine Schwester Simone bereits auf dem Weg, um mit uns auf Mabul durch den Panamakanal zu fahren. Stattdessen liegen wir nun vor Anker, gestrandet in der Linton Bay. Statt den Kopf hängen zu lassen, stellen wir ein Alternativprogramm zusammen, dabei rettet uns nicht nur der Dschungel, sondern auch einige neue und alte Freunde.

Die Linton Bay ist die letzte geschützte Bucht vor San Blas

Das Erste, was auffällt, wenn man in die Linton Bay einfährt, ist ein großes, pilzförmiges Betongebilde. Der «Pilzstamm» führt ins Meer, wo unter der Wasseroberfläche eine weitere Betonkammer liegt. Eine Leiter führt vom Pilz zur Wasseroberfläche und auf dem Dach ist ein Helikopterlandeplatz. Das ist das Werk von Rüdiger Koch, einem 59-jährigen Raumfahrt-Ingenieur. Unlängst wurde er berühmt, weil er 120 Tage elf Meter in der Pilzkammer unter Wasser ohne Dusche, aber mit einem Hometrainer und einer Bar verbracht hatte. Dafür erhielt er Ende letzten Jahres einen Eintrag im Guinnessbuch der Rekorde. Seapods heißen die «Pilze». Sie werden von der Firma Ocean Builders als «innovative floating homes» angepriesen und kosten rund 1,5 Millionen US Dollar. 2019 floppte die Einweihung in der Linton Bay allerdings, als bei der Einweihungsparty ein Seapod unter der Last seiner Gäste kippte. Nun versuchen Koch und seine Geschäftspartner das Geschäftsmodell – Leben auf dem Meer, weit weg von Kontrolle und Regulierungen – in die vereinten Arabischen Emirate zu exportieren und hoffen den Kronprinzen von Saudi Arabien als Investor zu gewinnen. Koch gehört dabei zu einer Reihe libertärer Bitcoin-Millionäre, von denen – so merken wir – es einige in Panama gibt.

Die Seapods sind nicht nur ein Lebens- sondern auch ein Geschäftsmodell

Die Linton Bay, in der wir Anker werfen, ist die letzte sichere Bucht, bevor man zum Inselparadies San Blas lossegelt. Hier, zwischen einer unbewohnten Insel und dem Festland, liegt die geschützte Bucht. Hier befindet sich auch die Linton Bay Marina mit einem Bootsladen, Handwerkern und einem Gemüse- und Früchtewagen, der regelmäßig vorbeikommt. Von unserem Ankerplatz aus sehen wir auf die grüne, unbewohnte Insel, von der man sagt, sie sei von einem einzigen Affen bewohnt. An Land stehen zwei Villen, die eine gehört den Bitels, den Besitzern der Linton Bay Marina, die andere Jaco Lacs, der hier seinen eigenen Privatzoo besitzt. Regelmäßig trägt der Wind die Schreie der Pfauen, das Krächzen der Papageien und das Bellen der Hunde zu uns rüber.

In der Bucht liegen ungefähr 30 Boote. Langsam lernen wir unsere Nachbarn kennen. Gleich vor uns ankert Patrik aus Polen, der mit seinem Hund Rambo auf einem Segelboot wohnt, das seit Jahren nicht mehr bewegt worden ist. Patrik schlägt sich mit kleineren und größeren Arbeiten durchs Leben. In einer ausrangierten Tonne richtet er einen Pizzaofen ein, in dem er für die Cruiser Pizzas backt. Sein Provisorium verwandelt er bald in ein kleines Geschäft mit professionellem Ofen, indem er regelmäßig Brot backt, das er dann in der Marina verkauft.

Patrik lädt zum Pizza Abend in der Marina ein

Pizza essen wir auch regelmäßig in einem kleinen Restaurant, das ein Panamaer außerhalb der Marina in seiner Garage eingerichtet hat – bis er schließlich von der Polizei abgeholt und wegen Drogenhandel ins Gefängnis gesteckt wird. Wenig später eröffnen seine Töchter das Restaurant wieder. Sie müssen ganz dringend Geld verdienen, denn wer in Panama im Gefängnis sitzt, muss sich sein Essen und Schlafplatz kaufen.

Gleich neben der Insel, an einer Boje, liegt das Segelboot von Anna und Pablo. Die beiden kommen aus Salta, aus den Bergen Argentiniens. Anna hat in Argentinien als Anthropologin, Pablo als Psychologe gearbeitet. Doch dieses Leben, bei dem sie sich und ihre zwei kleinen Söhne nur am Abend und am Wochenende sahen, erfüllte sie nicht. Sie sehnten sich nach Abenteuer, nach Abwechslung und als sie von einer Familie, die auf einem Segelboot lebt, lasen, entschieden sie sich, ein ähnliches Abenteuer zu wagen. Sie kauften sich ohne Segelkenntnisse ein Segelboot in der Linton Bay Marina. Doch das Abenteuer, der Traum, entpuppte sich als Vorhaben mit vielen Schwierigkeiten. Seit über einem Jahr sind sie in der Linton Bay gestrandet. Nicht nur leckt ihr Boot überall, sondern ihr Motor hat auch ein solch gravierendes Problem, dass sie jedes Mal, wenn sie sich von der Boje wegwagten, wieder umkehren mussten. Mehrfach haben sie versucht nach San Blas zu segeln, doch einmal riss das Segel, einmal versagte der Motor, nie erreichten sie ihr Ziel.

Die Argentinier stecken seit über einem Jahr in der Linton Bay fest

Inzwischen haben sie sich in der Linton Bay und auf ihrem Boot an der Boje häuslich eingerichtet. Obwohl ihr Boot klein ist und mit vier Personen bereits voll, haben sie ein Airbnb daraus gemacht. Regelmäßig empfangen sie Gäste, die einen Einblick in das Leben auf dem Meer bekommen möchten – auch wenn nur vor Anker, gestrandet in der Linton Bay. Mit Anna, Pablo und ihren Söhnen machen wir kleine Ausflüge auf die Nachbarinseln. Mich fasziniert, wie leichtherzig sich die Familie an die neuen Umstände angepasst hat, wie sie ihr neues Leben nicht als «Festsitzen» oder «Problem» empfindet, sondern als eine Einladung, selbst hier in dieser kleinen Bucht das Andere, das Abenteuer zu sehen und zu finden. Uns Europäern, die so gewohnt an Ordnung, Planung und Perfektion sind, scheint es so viel schwerer zu fallen, das Leben immer wieder in neuen Fluss zu bringen, wenn nicht alles nach Plan läuft.

Auch unsere Freunde Pablo und Dini und ihre drei Kinder, mit denen wir so viel Zeit am Rio Dulce in Guatemala verbracht hatten, haben ihr Segelboot Da Capo wieder zu Wasser gelassen. Vor einem Jahr haben sie sich nach mehreren Jahren auf dem Meer eine Finca in Kolumbien gekauft und das Vollzeit-Segelboot-Leben aufgegeben. Ihr Boot verkaufen, wollen sie doch nicht, war es doch für so lange Zeit ihr Zuhause. Sie hatten Da Capo in der Panamarina, die man durch einen magischen Mangroven Kanal erreicht, eingestellt und sind nun zu ihr zurückgekehrt, um einen Monat nach San Blas zu segeln. Vor ihrer Abreise sehen wir sie häufig.

Der Mangroven Kanal ist unser „magischer Ort“

Der kleine Mangroven Kanal ist einer meiner Lieblingsorte in unserem neuen Umfeld. Von der Linton Bay fährt man zuerst übers offene Meer, dann durch einen engen Durchgang durchs Riff, der in einen kleinen See führt, von dem man in den Mangroven Kanal gelangt und schließlich in der Panamarina landet. An einigen Stellen wachsen die Mangroven wie ein schützendes Dach über den Kanal und ab und zu turnen Brüllaffen oder Kapuziner-Affen im Blätterdach. Ein Nebenarm führt in Kurven und Windungen durch die Mangroven bis hinter ein Riff. Das Meerwasser drückt hier herein und verwandelt den kleinen Kanal in einen glasklaren Fluss, der sich hervorragend zum Schwimmen eignet. Regelmäßig lassen wir uns hier den Fluss herabtreiben, das Dinghy im Schlepptau, und kommen uns vor wie in der Aare oder der Limmat – einfach bei fast 30 Grad Wassertemperatur.

Während wir uns langsam mit unserem neuen Umfeld vertraut machen, ist auch bereits meine Schwester Simone im Anflug. Ihren Mann und ihre beiden Kinder lässt sie Zuhause und zum Glück ist sie flexibel und nicht zu sehr betrübt, dass das nichts wird mit dem Panamakanal. Als Krankenschwester im Notfall ist sie Planänderungen gewohnt und ich freue mich, dass ich ihr einen Einblick in unser Meerleben geben kann und wir ausgiebig Schwesternzeit haben.

Mit meiner Schwester Simone auf Entdeckungsreise

Da wir Mabuls Motor wegen des ausgeleierten Wellenlagers schonen wollen, bleibt die alte Tante vor Anker. Zum Segeln kommen wir trotzdem. Unser Innerschweizer Freund Martin hat mit seinem Segelboot Amélie die Turtle Cay Marina erreicht und so fahren Simone und ich zur Turtle Cay Marina und segeln mit Martin und seinem Gast Kevin in die Linton Bay und später nach Portobelo. Meiner Schwester, der es als Kind bei kurvenreichen Straßen immer schlecht wurde, gefällt das Segeln ausgezeichnet und als wir sogar noch von Delfinen begleitet werden, ist der Tag perfekt.

Zwei Tage lang lassen wir Mabul alleine vor Anker zurück und fahren in den Dschungel in die Casita Rio Indio. Auf einem Dschungelspaziergang begegnen wir einem Faultier, fischenden Spinnen und Bäumen, die pro Jahr einen Meter «gehen». Die Geräuschkulisse am Abend ist so vielfältig und reich, die Luft von Zirpen, Piepen, Quaken und Grollen erfüllt, dass es einem unheimlich werden könnte.

Den Dschungel teilen wir uns mit Affen, Schlangen und Faultieren

Weil der Dschungel eine solch willkommene Abwechslung ist, machen sich Simone, Kevin und ich an einem anderen Tag auf einen langen Dschungelausritt. Mit den Pferden waten wir durch Flüsse und baden im erfrischendem Wasser. Alex sind Motoren und Motorräder lieber als Pferde, so bleibt er auf Mabul.

Ein weiterer Ausflug führt uns zum Hotel Ciel y Miel, das weit über der Bucht auf einem Hügel thront. Es gehört dem Schweizer Urs Bohler und seiner Partnerin. Sie hatten einst selbst viel Zeit auf ihrem Segelschiff in der Karibik verbracht. Als sie vor einigen Jahren hoch zu Ross durch den Dschungel auf den Hügel ritten und von hier aufs Meer sahen, sagte Urs zu seiner Partnerin: «Hier will ich leben und sterben!» Seither haben Urs und seine Partnerin nicht nur ein Haus mitten im Dschungel gebaut, sondern während der Pandemie gleich ein ganzes Hotel. Es gehört zu den kleinen Perlen in der abgelegenen Wildnis in dieser vergessenen Ecke von Panama.

Hoch zu Ross geht´s weiter durch den Dschungel

Urs macht uns mit weiteren Bewohnern der Bucht bekannt. So verbringen wir einen Sonntag Nachmittag in der Villa von Rosalind Bitel, der Frau des Marina Besitzers. Sie ist Seegurkenzüchterin und weiht uns ein in die Geheimnisse dieser schleimigen Kreaturen ein. Diese, so sagt Rosalind, seien die Staubsauger der Meere, könnten mithelfen die Verschmutzung der Meere zu bekämpfen und der Versauerung entgegen zu halten. Deshalb hat sie mit einer Gruppe von Wissenschaftlern Panasea, eine Seegurken Forschungs- und Zucht Station, aufgebaut und will in Zukunft Seegurken im großen Stil züchten. Bislang stehen diese jedoch noch unter Schutz und der Export oder Verkauf ist verboten.

Rosalind züchtet Seegurken zum Schutz der Meere

Rosalind stellt uns ihren Nachbar Jaco Lacs vor. Einst in Peru aufgewachsen, wurde er in Panama mit dem Import und Export von Luxusgütern, vor allem Parfums, reich. Seine Liebe gilt jedoch weniger dem Geschäft, sondern mehr den Vögeln und Wildtieren. Vor einigen Jahrzehnten stieß er auf einem lokalen Markt auf zwei federlose Papageien, die er kaufte und aufpäppelte. Was einst mit diesen zwei zerzausten Papageien begann, ist heute ein riesiger Zoo. Wildtiere, die von der Regierung konfisziert werden, weil sie illegal gehalten oder gehandelt werden, gelangen oft zu Jaco, wo sie gepflegt und falls möglich wieder ausgewildert werden. Heute leben Hunderte von unterschiedlichen Papageien in Jacos Zoo, aber auch Tukane, Affen, Ozelote und ein Puma. Der Puma müsse wohl ein Leben lang im Käfig bleiben, er sei zu gefährlich und greife Menschen an, sagt Jaco. Und die Affen könne er auch nicht auswildern. Sie glaubten, sie seien Menschen.

Ein Quetzal in Jaco´s Zoo

Das war Ende der 90er Jahre noch anders. Damals verließen die Amerikaner die Kanalzone und suchten ein neues Zuhause für die Affen ihres Zoos. Der Zoo diente den Soldaten zu Trainingszwecken, sie sollten sich mit den Tieren, die in der Wildnis von Mittel- und Südamerika lebten, vertraut machen. Doch wohin nun mit all den Tieren? Rosalind Bitel, selbst Amerikanerin aber bereits verheiratet mit dem Panamaer Bitel, war zu jener Zeit eine junge Biologie-Lehrerin in einer der amerikanischen Schulen in der Kanalzone. Die Amerikaner hätten sie aufgesucht und gesagt: «Dein Mann besitzt doch eine Insel. Wie wär’s wenn wir dort die Affen auswildern?» Und so geschah es. Die Affen wurden auf der kleinen Insel ausgesetzt. Nach und nach seien sie gestorben, sagen die einen, umgebracht worden seien sie, sagen andere. Selbst Rosalind weiß nicht genau, wie viele der Affen noch auf der Insel sind oder was mit ihnen passiert ist.

Sie wolle mir jemanden ganz besonderes vorstellen, sagt meine Freundin Dini, als wir an einem Nachmittag zur kleinen Insel in der Linton Bay fahren. «Sheila!», ruft sie, als wir das Dinghy an einem Baum festgebunden haben und an Land gegangen sind. Und da kommt sie! Sheila, der letzte und einzige verbleibende Affe. Alt ist die Affen-Dame und einsam. Sofort klettert sie auf unseren Schoss, umarmt uns, erzählt Dies und Das. Mit dem langen Schwanz hält sie mich umklammert, mit den Armen hält sie Dini fest, als wolle sie diese komischen Menschenkinder, die ihr ein bisschen Gesellschaft leisten, nicht mehr verlieren. Seither besuche ich Sheila regelmäßig, bringe ihr ab und zu eine Banane, die sie schält und dann mit der Zunge zuerst testet, ob sie auch wirklich schmeckt, bevor sie reinbeißt. Meist sitzen wir einfach da, halten uns an der Hand oder im Arm und plaudern.

Meine neue Freundin: Sheila, der letzte Affe auf der Insel

Bald fühlt es sich also nicht mehr an, als seien wir in der Linton Bay gestrandet, weil unsere Mabul wieder Aufmerksamkeit braucht, sondern als hätten wir uns wieder eine neue Welt, mit neuen Geschichten erschlossen. Meine Schwester ist zwei Wochen lang teil davon, dann reist sie zurück in die Schweiz. Für uns ist es nun Zeit, Mabul aus dem Wasser zu heben. Wir motoren die kurze Strecke am Seapod vorbei in die Panamarina. Die Arbeit kann beginnen!

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Veröffentlicht von Karin

2 Kommentare

Liebe Karin
Ich bin immer wieder fasziniert von deinen Berichten – dieser las sich wie ein Krimi – spannend, unterhaltsam und, wie du schreibst, schräg! Ich wünsche dir und Alex weiterhin viele wunderbare und begegnungsreiche Abenteuer und Mabul endlich ein „gesundes Leben“ … hebets guet und ganz vill liebi Grüess us Basi Suzanne

Annemarie Brunner-Duss

Liebe Karin
Wie abenteuerlich ihr lebt. Unglaublich all diese wunderbare Natur, die vielen Begegnungen und und und.
Ich freue mich, immer wieder an deinen interessanten Berichten.
Liebe Grüsse
Annemarie Brunner-Duss

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