Unsere Reise von Antigua über Barbuda nach St. Maarten.
Am Morgen des 21. Januars verlassen wir Montserrat und nehmen Kurs auf die Nachbarinsel Antigua. Die Strecke nach Jolly Harbor wäre auf direktem Weg 22 Seemeilen, doch wir müssen gegen den Wind aufkreuzen und das dauert. Die Wellen sind hoch und die Fahrt ist ruppig. Wir haben ein Reff im Hauptsegel und anfänglich auch eines in der Genua. Mabul reitet die Wellen hoch und runter, so dass das Meerwasser über den Bug und das Deck bis ins Cockpit und von da zurück ins Meer fließt.
An kochen ist nicht zu denken, stattdessen sehen wir uns gleich schon nach der ersten Wende mit einem Problem konfrontiert. Eine Welle reißt unser Stand up Paddle, SUP, aus der Halterung. Zum Glück hat Alex das SUP auch noch mit einer Extraleine befestig, so dass es jetzt zwar wild in den Wellen flappt, aber nicht verloren ist. Ich drehe Mabul in den Wind und Alex holt die Genua ein, um die Fahrt zu bremsen. Erst jetzt sehen wir, was passiert ist: Eine Welle hat den SUP-Halter vollständig verbogen, so dass das SUP rausflog. Alex schafft es, das SUP an Deck zu ziehen und zu befestigen. Um die verbogene Halterung werden wir uns später kümmern, aber dass eine einzelne Welle eine Stahlhalterung derart verbiegen konnte, lässt uns staunen.
Bald sehen wir Antigua. Die Insel wirkt sanft mit ihren kleinen Hügeln und der flach ins Meer auslaufenden Nordhälfte. Als wir im Windschatten der Insel sind, werfe ich den Köder aus und kurz darauf beißt ein Fisch an. Er zieht kräftig und erst als Alex das Boot verlangsamt, kann ich ihn langsam heranziehen. Wieder ein Barracuda! Diese soll man nördlich von Martinique nicht mehr essen, wegen der Gefahr mit Ciguatera vergiftet zu werden. Wir holen ihn an Bord, um den Hacken zu entfernen. Der Fisch hat kräftig zugebissen und die Hackenentfernungsaktion erweist sich als eine knifflige Angelegenheit, wobei wir bedacht darauf sind, unsere Finger nicht zwischen die scharfen Zähne des Raubfischs zu bekommen. Dann ist er endlich frei und wir werfen ihn zurück. Er schwimmt schnell davon….
Nach acht Stunden erreichen wir die Bucht vor Jolly Harbor an der Ostküste von Antigua. Das Wasser ist bis weit draußen seicht und nur gerade 3 bis 6 Meter tief. Wir fahren in den gut markierten Kanal ein, um nicht auf Felsen aufzulaufen. Zu unserer Rechten liegen wunderschöne, weiße Sandstrände und bald sehen wir uns bekannte Boote: Arancanga von Riki und Martin, genau dahinter liegt Frieda Kai von Jay und noch ein paar Schiffslängen entfernt sehen wir Take Five von Suzi und Emanuel. Das wird ein Wiedersehen!
Nachdem wir Anker geworfen haben, begutachten wir die Schäden. Die Halterung des SUP werden wir irgendwie geradebiegen können. Nerviger ist, dass wir wieder Diesel und zwar etwa einen halben Liter unter dem Dieseltank finden. Alex hat zwar bereits eine Dichtung ersetzt, doch es gibt noch weitere, die undicht sein könnten, ein weiterer Boatjob also – aber nicht mehr heute. Einen Tag gegen Wind und Wellen anzukämpfen, hat uns müde gemacht, aber hier an diesem ruhigen Ankerplatz mit dem angenehmen leichten Wind werden wir hervorragend schlafen.
Die nächsten Tage verbringen wir in der ruhigen Bucht von Jolly Harbor, werkeln am Boot, treffen unsere Freunde, schwimmen und erfreuen uns über den gut gefüllten Supermarkt. Dann folgt das nächste Problem: Gleich zweimal bleibe ich mit unserem Dinghy stecken, weil der Motor nicht mehr anspringt und alles gute Zureden und schrauben nichts mehr nützt. Langsam sehe auch ich ein, dass ein neuer Dinghy Motor wohl die nächste große Investition sein wird, auch wenn ich mich bislang dagegen gewehrt hatte…
Antigua ist komplett anders als Montserrat. Hier riecht es überall förmlich nach Geld, viel Geld. In der Bucht von Jolly Harbor liegen Segelboote wie unseres, in der Marina jedoch sind die Millionen-Yachten eingestellt. Zudem – und das erinnert mich an Dubai – wurden hier verschiedene Landzungen aufgeschüttet, auf die die passenden Häuser zu den passenden Yachten hingebaut wurden. Auf der einen Seite der Häuser sind die Parkplätze der Autos, auf der anderen Seite sind sie zugänglich über den Wasserweg und vor jedem Haus liegt ein Boot, das oft mit einem Lift aus dem Wasser gehoben wurde, um das Unterwasserschiff zu schützen.
Dass die Marina in Jolly Harbor jedoch nur ein Boots-Kindergarten ist im Vergleich zum Hafen in Falmouth und English Harbor, wird uns wenige Tage später bewusst, als wir der Küste entlang in den Süden segeln und in der Bucht von Falmouth Anker werfen. Die Passage in den Süden ist nur wenige Seemeilen lang, an einigen Stellen jedoch so eng, dass wir in engem Zickzackkurs zwischen der Küstenlinie und den Riffen hin und her wenden.
English Harbor und Falmouth sind das wahre Zuhause der Superyachten. Bereits am Buchteingang von Falmouth liegt eine gigantische Motoryacht, die eine Art Aufbau hat, um den Helikopter landen zu können. Daneben liegt ein noch längeres Segelboot, dessen Masten wahrscheinlich drei oder viermal so hoch sind wie unserer. Wir ankern in der Bucht neben Frieda Kai von Jay, der bereits hier liegt, und fahren am Nachmittag mit dem Dinghy in den Hafen. An den Docks liegen die Multi-Millionen Yachten. Viele der Boote kann man chartern, 300 – 500.000 USD pro Woche, wie wir sehen, als wir die Yachtnamen googlen. Der Hafen ist voller Jüngelchen in Polo-Shirts und Frauen mit aufgespritzten Lippen und falschen Brüsten, die über die Docks stolzieren. Es ist ein amüsantes Nachmittagsprogramm hier zu sitzen und Kaffee zu trinken.
Von der Falmouth Bucht erreichen wir English Harbor, ein gut geschützter, natürlicher Hafen, nach einem kurzen Spaziergang. Die historische Hafenanlage ist ein UNESCO-Weltkulturerbe und könnte gerade so gut im England des 18. Jahrhunderts stehen. Der berühmte britische Seemann der British Royal Navy, Horatio Nelson, lief hier 1784 als junger Captain mit der HMS Boreas in den Hafen ein. Die historische Hafenanlage heißt noch heute zu seinen Ehren Nelson’s Dockyard und wir regelmäßig von Touristen besucht. Alte, schwere Kanonen zielen über Steinmauern aufs Hafenbecken. Das «Naval Officer’s and Clerk’s House», ein zwei stöckiges Holzgebäude, stammt aus dem Jahr 1855. Hier arbeiteten damals hochrangige Bürokraten und Buchhalter der Hafenanlage, heute befindet sich im Gebäude das Dockyard Museum. Die Gärten und Rasen zwischen den zweistöckigen Steingebäuden sind gepflegt und mit farbigen Blumen bestückt und an einer Hausecke steht ein rotes Telefonhäuschen, wie es sie früher in ganz England gegeben hatte.
Am Dock neben den Megayachten ist ein kleiner, abgesperrter Bereich. Hier treten die Ruderer des härtesten Ruderrennens der Welt, nachdem sie einmal quer über den Atlantik gerudert sind, zum ersten Mal auf festen Boden. In diesem Jahr sind es 41 Teams, die die 4800 Kilometer in ihren kleinen, zirka neun Meter langen Ruderbooten zurücklegen. Ein Team mit drei Schweizern und einem Deutschen kam am Sonntag, einen Tag vor unserer Ankunft, an. Ihr Boot Heidi hat das Rennen in der Open Kategorie gewonnen und brauchte 41 Tage über den Atlantik. Wir treffen die vier Ruderer am Dockyard zu einem Interview. War das ganze Gespräch hören möchte, kann das im BoatCast «Mit dem Ruderboot über den Atlantik».
Mit unseren Seglerfreunden Kim, Ann, Jay und Dee machen wir einen Tagesausflug den Klippen entlang zu den Shirley Heights. Kakteen mit roten, kleinen Hütchen wachsen auf den kargen Felsen und an einigen Orten sie die Felsen so ausgewaschen, dass sich natürliche Swimmingpools gebildet haben, die bei Hochwasser mit Meerwasser gefüllt werden. Hier, im Mermaids Pool, liegen wir wie in einer Badewanne im warmen Wasser und beobachten allerlei Kleintiere – Krebsen, Muscheln und Spinnen.
Dee, die bei Jay zu Gast ist und in New York als Friseuse arbeitet, schneidet Alex und mir die Haare bei den Pools, was dringend nötig ist, so verwildert wie wir schon sind. Dann wandern wir den Weg zu den Shirley Heights hoch, einem Ausguck, von wo früher die britischen Soldaten ihre französischen und anderen Angreifer aus großer Distanz sehen – und beschießen konnten.
In Falmouth treffen wir auch Hatty und Phil, die in English Harbor vor Anker liegen, und lernen mehr über die Geschichte von Mabul. Dem englischen Paar gehörte Mabul, die damals noch Pepper hieß, für mehr als zwölf Jahre, bis sie uns das Boot verkauften. Da sie schon etwas älter sind und Mabul nicht das bequemste aller Schiffe ist, haben sie sich nun einen Katamaran gekauft. Einfach ist ihnen der Abschied von Pepper-Mabul jedoch nicht gefallen, das wird sofort klar, als wir sie auf Mabul zum Essen einladen. Hatty wischt sich einige Tränen ab und Phil weigert sich die ersten zwei Stunden standhaft unter Deck zu gehen – zu viele Erinnerungen sind mit dem Boot, das sie so viele Jahre gehegt und gepflegt und mit dem sie den Atlantik überquert hatten, verbunden. Die illustre Geschichte von Mabul und auch wie uns Phil in den Tod Club, einen ganz speziellen, leicht antiquierten Club, einlud, erfahrt ihr im BoatCast «Ein Blick in Mabuls illustre Vergangenheit». Eine Anregung von Hatty und Phil nehmen wir uns sofort zu Herzen, als wir nach einigen Tagen der Ostküste von Antigua entlang nach Norden weitersegeln. «Beansprucht Mabul mehr, sie liebt das! Solange das Wasser nicht über die Reling läuft, so lange müsst ihr nicht reffen!»
Am 8. Februar setzen wir Segel – volle Segel! – und nehmen Kurs nach Norden. Mabul neigt sich zwar etwas mehr, aber sie segelt auch bei zwanzig Knoten Wind und vollen Segeln noch ganz ruhig und beständig.
Vor Green island, einem außerordentlich schönen Ankerplatz in einer kleinen Bucht an der Westküste von Antigua, die von einem Riff gut geschützt ist, bleiben wir zwei Nächte. Mit dem Dinghy fahren wir in die Nachbarbucht, um zu schnorcheln, sehen eine gepunktete Stingray und ein paar Käfige auf denen Korallen aufgeforstet wurden. Dann geht’s weiter um die Nordküste herum, noch einmal nach Jolly Harbor, um unsere Vorräte aufzustocken und uns einige Tage vor den starken Winden zu verstecken, die angesagt sind. Als der Wind wieder nachgelassen hat, setzen wir Segel und nehmen Kurs auf die Antiguas kleine Schwesterinsel Barbuda. Die 35 Seemeilen bei starkem Wellengang meistern wir in fünfeinhalb Stunden. Barbuda jedoch sehen wir erst wenige Seemeilen vor unserer Ankunft am 8. Februar. Die Insel ist so flach, dass sie im Meer zu verschwinden scheint.
Anker werfen wir gleich neben Hatty und Phils Katamaran, der bereits vor dem Princess Diana Beach liegt. Noch wirkt Barbuda mit seinem türkisfarbenen, kristallklaren Wasser und dem weißen Sand, der wie Elfenstaub durch die Finger rinnt, wie das karibische Paradies, von dem alle träumen. Doch bereits am zweiten Tag merken wir, dass sich hier im Paradies bereits eine Schlange – oder gleich mehrere – eingenistet haben. Die Schlangen tragen hier Namen wie «Paradise Found» oder «Peace Love and Happiness» – Firmen von US-amerikanischen, superreichen Investoren. Diese haben Barbuda vor wenigen Jahren entdeckt und sich die schönsten Strände unter den Nagel gerissen, um darauf Villen und Ferienresorts für Superreiche zu bauen. Zugang hat sonst niemand mehr – auch wir nicht, aber wir haben eine Drohne und lassen sie am zweiten Tag am Strand fliegen.
Aus der Luft sehen wir erst das Ausmaß des Bauwahnsinns. Es geht nicht lange – wir stehen am Strand, neben dem Barbuda Ocean Club, der von «Peace Love and Happiness» gebaut wurde – und die Wachleute des Clubs verscheuchen uns am Strand. Unser Interesse ist geweckt, was geht hier vor? Was passiert mit diesem Paradies und was denken die Einheimischen darüber? Ich beginne zu recherchieren. Als erstes stoße ich auf diverse Artikel in der englischsprachigen Presse mit Titeln wie: «Billionäre bauen Resort auf geschütztem Sumpfgebiet» oder «Können die Inselbewohner ihre Insel beschützen?» Es gibt auch eine Website, www.savebarbuda.org, die von einer Gruppe von Barbudans, die sich um die Zukunft ihrer Insel und die Zukunft ihrer Kinder sorgen, geführt wird. Einige von ihnen kontaktierten wir und sie sind bereit, uns zu treffen und uns die Insel zu zeigen und über die Probleme zu sprechen.
Gulliver Johnson Francis holt uns mit dem Jeep seines Cousins ab, um uns die Insel zu zeigen. Er ist 50 Jahre alt, seine Vorfahren sind aus Barbuda, er wuchs in England auf, wo er studierte. Zuerst hilft er uns mit etwas Hintergrundinformationen.
Barbuda ist 62 Quadratmeilen gross, topfeben (die höchste Anhöhe ist 40 Meter) und sehr sandig. Hier leben ungefähr 1500 Einwohner, von denen die Allermeisten Nachfahren von afrikanischen Sklaven sind. Denn 1628 rissen sich die Briten Barbuda unter den Nagel. Ab 1680 leaste die englische Familie Codrington, die bereits als Plantagebesitzer und Sklavenhändler reich geworden war, die Insel von der Britischen Krone. Die Insel taugte jedoch nicht für Zuckerrohrplantagen, aber die Familie ließ Tiere züchten und Gemüse anbauen, mit der sie ihre Plantagen auf anderen Inseln versorgte. Der englischen Krone mussten die Codringtons als Miete ein fettes Schaf pro Jahr zahlen.
Sie verdienten noch anders Geld: Sie lockten Schiffe mit falschen Leuchtfeuern an die Atlantikküste, die voller Riffe ist, ließen sie auflaufen, retteten die Crew und plünderten gleichzeitig ihre Schiffe….Die Überrest der Türme, in denen die Feuer gezündet wurden, sieht man bis heute. Die Arbeit verrichteten natürlich nicht die Codringtons, sondern die Sklaven, die sie in Afrika gekauft hatten.
Die Sklaven, die nach Barbuda kamen, waren gut ausgebildet, Schiffsbauer, Schreiner, Wagen- oder Schuhmacher und Jäger und «sie genossen bereits relativ große Freiheiten im Vergleich zu anderen Kolonien», erzählt Gulliver. 1834 wurde die Sklaverei abgeschafft, aber die Traditionen der ehemalige Sklaven blieben. Eine dieser Traditionen von den ehemaligen Sklaven war das gemeinsame Landrecht, wie es auch in ihren Ursprungsländern in Westafrika gehandhabt wurde. «Das Land wird gemeinsam verwaltet und ist im Besitz von allen und das ist bis heute so und macht unsere Insel so speziell», sagt Gulliver.
Barbuda und die starke Verbundenheit von der Inselbevölkerung und ihrer Insel sei einmalig in der Karibik, sagt auch der Meeresbiologe John Mussington, den wir ebenfalls auf der Insel treffen und der im Inselrat ist, dem politischen Entscheidungsgremium der Insel. Die Leute überlebten nur, weil sie seit der Zeit der Sklaverei von den Ressourcen der Insel gelebt und diese nachhaltig gepflegt hätten – bis heute.
1981 wurden Antigua und Barbuda unabhängig von Großbritannien. Die beiden Inseln wurden aber zu einem Staat verschmolzen, wobei sich Barbuda seit Beginn unterdrückt und benachteiligt fühlt vom größeren Nachbar Antigua. Land und die Landrechte waren schon immer ein Thema.
Jackie Franks Vater kämpfte dafür, dass das gemeinsame Landrecht in der Verfassung verankert wurde und wurde deshalb immer wieder ins Gefängnis gesteckt. Jackie ist eine weitere Barbuderin, die wir treffen. Sie sass einige Jahre im Inselrat. Als kleines Mädchen ging sie mit ihrer Familie nach England, wo sie später Jahrzehntelang als Lehrerin arbeitete, bis sie vor einigen Jahren nach Barbuda zurückkam. Der Kampf ihres Vaters zahlte sich aus: 2007 wurde der Barbuda Land Act im Parlament in Antigua verabschiedet. Darin wurde festgehalten, dass das Land auf Barbuda nicht in Privatbesitz gehen kann, sondern gemeinschaftlich verwaltet wird und nur die Gemeinschaft entscheiden kann, was mit dem Land passiert. Doch es dauerte nur zehn Jahre und die Regierung begann ab 2017 an diesem Gesetz herumzuflicken und es zu verwässern, so dass sie jetzt Land von Barbuda an Drittparteien vermieten kann.
Robert de Niro leaste so Land mit seiner Firma «Paradise Found», damit er auf der Insel ein Luxusresort bauen kann. Auch der Milliardär John Paul DeJoria, der sich selbst einen Umweltaktivisten nennt, schloss im Februar 2017 einen Lease-Vertrag mit der Regierung in Antigua für Land auf Barbuda. Seine Firma heißt ironischerweise «Peace, Love und Happiness» und diese Firma leaste laut ihrer Website auf Barbuda über 360 Hektaren Land, um darauf den Barbuda Ocean Club zu bauen: einen Golfplatz und Villen für Superreiche. Die schönsten Strände gehören nun für die kommenden 99 Jahre nicht mehr der Bevölkerung von Barbuda, sondern Superreichen, die sich eine Villa ab 2.5 Millionen US-Dollar leisten können.
Wir haben direkt vor dem Ocean Club geankert. Jeden Tag führten die Reichen ihre Wasserspielzeuge, ihre Jetskies und Wasserfahrräder spazieren. „Private Property“-Schilder stehen in enger Folge und nur wenige Meter von der Wasserlinie entfernt – was eigentlich illegal ist. Am Strand treffe ich Michael Chandler, den Manager vom Barbuda Ocean Club, ein amerikanischer Sunny-Boy aus dem Bilderbuch. Er sagt, 90 Residenzen am Coco Point, wo wir uns befinden, seien bereits verkauft, sie könnten jedoch bis 450 Villen bauen, nicht nur am Strand, vor dem wir ankern, sondern auch auf der angrenzenden Halbinsel Palmetto. Dort steht bereits der Golfplatz. Also eine neue Spielwiese für die Superreichen auf Kosten der Inselbevölkerung? «Wir haben bereits 100 Millionen USD investiert, ja, eine Spende an die Lokalbevölkerung ist das nicht, schließlich müssen wir das Geld zurückbekommen, aber wir tun sehr viel für die Lokalbevölkerung», sagt Chandler. Was das ist, will er mir nicht sagen, doch Arbeit würden sie den Inselbewohnern geben und damit erwiesen sie der Gemeinschaft einen Riesendienst.
Dass die Strände nur noch seinen superreichen Klienten zugänglich sind und nicht mehr den Lokalen, ist für Manager Michael kein Problem: «Private property ist private property, so ist das überall auf der Welt.»
Die zentrale Frage ist: Wer zahlt wirklich den Preis für diese touristischen Großprojekte? Die Antwort der UNO darauf lautet: Die Umwelt und die Inselbevölkerung zahlen den Preis. Die UNO hat im Februar 2022 ein öffentliches Statement veröffentlicht, in dem sie schreibt, dass Barbudas fragiles Ökosystem durch das Megaprojekt von «Peace Love und Happiness» gefährdet sei und dass die Bevölkerung von Barbuda nicht genügend gut über das Projekt informiert worden sei, um ihre Einwilligung geben zu können. Im Speziellen erwähnt der UN-Bericht die Entwicklungen auf dem Palmetto Point, einer Halbinsel, die an die große Codrington Lagune angrenzt. Dort hat «Peace Love und Happiness» bereits einen Golfplatz gebaut und ist nun daran den Barbuda Ocean Club und seine Villen auszubauen und zwar auf einem geschützten Sumpfland. Die UNO kritisiert, dass dabei Mangroven, die die Insel vor Stürmen und Naturkatastrophen schützen, entfernt worden seien.
Eine offizielle Erlaubnis uns die Entwicklungen am Palmetto Point anzuschauen, erhalten wir nicht, weil: private property. Mit Gulliver fahren wir jedoch bis zum Wachhäuschen und Zaun, der die private property weiträumig absperrt.
Aus der Luft wird das Ausmaß der Bauarbeiten klar und auch das Mangroven im großen Stil entfernt wurden. Doch plötzlich bricht die Funkverbindung zu unserer Drohne ab, «Peace Love und Happiness» scheint einen Störsender zu benutzen….Wie wir mit ein paar Tricks und etwas Bluff wieder zu unserer Drohne und damit den Luftaufnahmen kamen, erfahrt ihr in unserem Podcast «Barbuda – Paradise found (and lost)».
Wie wichtig die Codrington Lagune für die Insel ist und wie gefährdet durch den Bau des Golfplatzes und der Luxusvillen auf dem angrenzenden Palmetto Point, erfahren wir, als wir mit Gulliver, Jackie, John und dem 70-jährigen Fischer George mit dem Boot über die Lagune tuckern.
Die Lagune ist zwei Meilen breit und siebeneinhalb Meilen lang und ist damit die größte Lagune in der Karibik. Sie ist eine Brutstätte für Fische, Lobster und anderes Meeresgetier, das hier heranwächst, bevor es ausschwärmt ins Meer bis zu weit entfernten Nachbarinseln.
In der Lagune gibt es auch große Mangrovenwälder und die dienen den Fregattvögeln als Brutstätte und Zufluchtsort. Die Vögle haben bis zu zwei Meter Flügelspanne, jedoch ziemlich kleine Füßchen. Deshalb suchten sie sich diesen Ort aus: Die Mangroven liegen in einem Windkanal und die Vögel müssen nur die Flügel ausbreiten und der Wind trägt sie in die Luft.
Da die Lagune ein extrem wichtiges Ökosystem ist, ist sie geschützt. Mit den gigantischen Tourismusprojekten auf dem Palmetto Point sei die Lagune und all dieses Meeresleben gefährdet, sagt der Meeresbiologe John Mussington: «Wenn es regnet, dann ist der Palmetto Point wie ein Filter. Durch die Mangrovenwälder fließt der Regen, der gefiltert wird und dann in die Lagune fließt. Wenn jetzt aber auf diesem Palmetto Point ein Golfplatz und bis zu 450 Villen entstehen, dann gelangt das Gift, die Düngemittel und was immer in den Boden fließt in die Lagune, vergiftet sie und zerstört damit das Vogelschutzgebiet und die Nahrungsmittelquelle von Barbuda und den Nachbarinseln.» Und nicht nur das, so Meeresbiologe John Mussington: «Erreicht uns ein Sturm oder Hurrikan vom Atlantik her, dann ist die Insel zuerst einmal von den Riffen, den Mangroven und Sanddünen im Norden und auf dem Palmetto Point geschützt. Wenn die Mangroven jedoch ausgerissen werden und der Sand abgetragen wird, liegt die Insel ungeschützt da und Wasser und Winde können ungehindert Zerstörung auf der ganzen Insel anrichten.»
Jeder könne sehen, dass der Businessplan der Tourismus-Investoren dämlich sei, so Mussington: «Er macht nur Sinn, wenn sie auf etwas abzielen: schnell, viel Profit mit dem Verkauf ihrer Villen zu machen und dann abzuhauen und uns die Kopfschmerzen überlassen und die Zerstörung.»
Der letzte große Hurrikan war Irma, der am 6. September 2017 mit fast 300 Km/h über die Insel fegte. Er zerstörte mehr als 90 Prozent der Infrastruktur und das, obwohl die Schutzgebiete noch intakt waren. Die Regierung von Antigua haben den Hurrikan genutzt, um in seinem Windschatten ihre eigenen Interessen auf der Insel durchzusetzen, sagt Jackie. Sie sagt, nicht der Hurrikan, sondern wie die Regierung mit den Inselbewohnern umgegangen sei, habe die Bevölkerung traumatisiert: «Wir, die Inselbewohner wurde unter Androhung von Gewalt von der Insel gezwungen und durfte wochenlang nicht zurückkehren. Als wir uns rund einen Monat später unseren Weg zurück kämpften, legte uns die Regierung viele Steine in den Weg. Sie kürzte uns, dem Inselrat, das Budget um die Hälfte und behinderte Nichtregierungsorganisationen, die die Bevölkerung mit Generatoren und anderen Mitteln versorgten.»
Es gab über ein Jahr lang keine Bank, so dass die Leute wieder zum Tauschhandel übergingen. Das erste jedoch, was die Regierung bauen ließ, als die Inselbewohner noch von der Insel weggesperrt waren, war die Landebahn für Privatjets. Und während die Inselbewohner versuchten ihre Leben wieder aufzubauen, machten die ausländischen Investoren ungehindert weiter mit ihren Bauprojekten.
Desillusioniert darüber, wie ausländische Investoren den Inselbewohnern ihre Insel streitig machen und die Regierung in Antigua ihnen dabei hilft, kehren wir auf Mabul zurück. Am nächsten Tag laden wir Gulliver und seine Mutter auf Mabul ein. Da unser Dinghy nach Kontakt mit einer Koralle ein Leck hat, können wir sie nicht am Strand abholen, sondern sie werden an Bord schwimmen müssen. Wir sehen sie dem Strand entlangkommen, gleichzeitig sehen wir, wie Muskelmänner vom Barbuda Ocean Club ihnen entgegen gehen. Durchs Fernglas sehen wir, wie Gulliver und seine Mutter mit den Muskelmännern diskutieren, bis die Muskelmänner ihre Mobiltelefone zücken und Gulliver und seine Mutter filmen, dann dreht sich Gullivers Mutter abrupt um und geht den Strand zurück. Gulliver zieht sich bis auf die Unterhose aus und schwimmt zu uns. «Sie drohten die Polizei zu rufen und mich und meine Mutter zu verhaften, wenn wir nur einen Schritt weitergehen würden und das obwohl der Strand öffentlich ist», schnaubt Gulliver verärgert, als er Mabul erreicht. Was hier passiere, sagt er, sei nichts anderes als Apartheit. Ich fühle, wie die Wut auch in mir hochsteigt. Was hat all das noch mit einem Paradies zu tun? Am liebsten würde ich an den Strand schwimmen und Manager Chandler alle Schande sagen, doch Gulliver hält mich zurück. Das bringt nichts, der richtige Kampf wird an den Gerichten geführt. Es ist ein Kampf von David gegen Goliath. Die Inselbewohner kämpfen mit ihren bescheidenen Mitteln und mit Hilfe von ausländischen NGOs, die sie vor Gericht vertreten. Traurig dabei ist, dass die Regierung von Antigua ihre kleine Schwesterinsel an ausländische Investoren, die ein Paradies suchen, verkauft. Weil sie die Lebensweise, Kultur und Umwelt nicht verstehen, sind diese Investoren gerade dabei, ihr gefundenes Paradies zu zerstören und damit auch die Inselbevölkerung. Hoffen wir, dass der kleine David gewinnen wird.
Als wir kurze Zeit später Anker lichten und nahe am neu gebauten Golfplatz auf dem Palmetto Point vorbei segeln, frage ich mich: Wieviel Tourismus verträgt das Paradies und wäre es oft nicht besser, das Paradies würde einfach nicht entdeckt? Ich denke an die Worte von Meeresbiologe John Mussington: «Sie nennen ihr Projekt ein Entwicklungsprojekt, aber was hat das mit Entwicklung zu tun, wenn sie dabei unsere Kultur zerstören und sich bereichern? Paradies Found», «Peace Love and Happiness» und wie sie alle heißen, das sind die neuen Piraten, die neuen Kolonialisten hier.»
Aufgewühlt und verärgert über das, was wir in den vergangenen Tagen gesehen haben, segeln wir durch die Nacht. Sechzehn Stunden später erreichen wir St. Maarten. Mit dem Begleitschutz von Delfinen gleiten wir in die Bucht Marigot.
Unsere Gäste, unsere Freunde David und Michi, warten bereits am Pier, als wir Anker werfen. Michi, der in der Schweiz als Komiker Michael Elsener das Publikum zum Lachen bringt, bringt auch in der Woche, in der er an Bord ist, wieder mehr Leichtigkeit in unseren Bordalltag. Wir zeigen ihm die Magie des Segelns und des Meeres, tauchen mit Schildkröten vor Ille Fourchue, ankern vor einer verlassenen Bucht auf der Nachbarinsel St. Barths und betrachten bei einer windigen und wellenreichen Überfahrt zurück nach St. Maarten schweigend das Meer. Mehr zu diesen leichten, lustigen Tagen im BoatCast «Comedian Michael Elsener lernt segeln».
Als Michi und David nach einer Woche wieder von Bord gehen, beginnt für uns ein dreiwöchiger Logistik- und Beschaffungs-Wahnsinn, den wir ausführlich in unserem BoatCast «Bootsprojekte und Logistik in der Karibik» beschreiben.
St. Maarten ist in einen zollfreien holländischen und einen französischen Teil geteilt. Wir ankern in der Marigot Bucht im französischen Teil, weil man hier gratis ankert und zwar in nächster Nähe von einer hervorragenden Bäckerei, fahren dann aber regelmäßig mit dem Dinghy über die Lagune zum holländischen Teil. Dorthin – weil zollfrei – haben wir in den vergangenen Wochen und Monaten eine ganze Reihe von Ersatzteilen und anderen Dingen bestellt: einen neuen Dinghy Motor zum Beispiel oder Güter wie Schmerztabletten, Verbandsmaterial, Fußbälle, Fischerhacken und Kleider, die wir nach Kuba bringen wollen, um sie dort zu verschenken. Über den Zwischenhändler Westtech, der eine Adresse in Miami hat, konnten wir vieles über Amazon bestellen, was wir auf den kleinen Karibikinseln nicht bekommen. Aber vieles müssen wir auf der Insel langsam und mühsam zusammensuchen. Ein Holzbrett zum Beispiel, das wir an der Reling festmachen können, um dann daran die Reserve-Benzin- und Dieselkanister, die wir ebenfalls auf St. Maarten kaufen, festbinden zu können. Ich brauche einen Tag, um das richtige Holz, ein Teak Brett aus Trinidad, zu finden. Alex verbringt viel Zeit im Motorraum, um die Ausrichtung des Propellers zu überprüfen. Einmal kommt ein Rigger an Bord, um unser Rigging genau zu untersuchen. Ich kümmere mich um die Logistik unseres neuen Familienmitglieds, dem Tauchkompressor Poseidon, der uns von Bauer Kompressoren gesponsert wurde. Er wird uns ein grosses Stück mehr Freiheit schenken, weil wir nun unsere Tauchflaschen selbst füllen können und nicht mehr abhängig sein werden von Tauchschulen. DHL Express will den Kompressor in drei Tagen von Deutschland nach St. Maarten liefern, doch die Lieferung verzögert sich, der Kompressor bleibt in den USA, dann in Puerto Rico hängen und ich lerne den DHL Express Kundendienst in langen, sich wiederholenden Gesprächen (zu) gut kennen.
In weiser Voraussicht hatte Alex auch einen neuen Wärmetauscher für unseren Motor aus Holland nach St. Maarten, also den holländischen Teil der Insel, bestellt, bloß ist der nun nirgends auffindbar. Weder der Zoll, noch unser Rigger, an dessen Adresse wir den Wärmetauscher bestellt hatten, weiß, wo das Paket gelandet ist. Erst nach Tagen finde ich heraus, dass es im Hauptgebäude der Post in der Hauptstadt liegt. Die Abholung dauert einen halben Tag….
An manchen Tagen bringt uns der Beschaffungswahnsinn beinahe zur Verzweiflung. Ständig treten zudem neue Probleme auf – der Inverter geht kaputt, der Wassermacher auch… Da ist der Ausflug mit unseren Freunden Jay, Riki, Martin und Wolfang, die ebenfalls hier ankern, sehr willkommen. Wir fahren mit unseren Dinghies zu einem kleinen Strand, der dank vieler YouTube-Videos inzwischen weltberühmt ist.
Der Strand liegt unmittelbar vor der Landebahn des Flughafens und die Flugzeuge donnern nur wenige Meter über die Köpfe der Strandbesucher, bevor sie auf der Landebahn aufsetzen. Ein ohrenbetäubendes Spektakel!
Inzwischen wartet schon unser nächster Gast, unser Freund Florian, in den British Virgin Islands, auf uns. Doch unsere Abfahrt verzögert sich, da wir immer noch auf den Tauchkompressor waren.
Dann endlich ist er da! Alex strahlt wie ein Maikäfer, als er ihn mit dem Dinghy zurück aufs Boot bringt, wo er ihm vor der Abreise noch ein wellen- und windsicheres Zuhause im Cockpit baut. Dann, am 4. März, hissen wir erleichtert und müde die Segel und nehmen Kurs auf die British Virgin Islands. Die BVIs, wie die kleine Inselgruppe auch genannt wird, soll das Paradies schlechthin für Segler sein und der Ort, an den Männer ihre Frauen zum Segeln hinbringen, wenn sie sie überzeugen wollen, ihr Landleben gegen eines auf dem Meer auszutauschen. In Vorfreude auf dieses Seglerparadies segeln wir durch die Nacht, beleuchtet von einem hellen Vollmond, der das Meer selbst in der Nacht hell schimmern lässt. Noch wissen wir nicht, dass wir just in diesem Seglerparadies die größte Krise unserer bisherigen Segelreise durchleben werden….
Zusammenfassung
Zurückgelegte Distanz: 320 sm
Fahrtzeit: 2 Tage 12 Stunden
Durchschnittsgeschwindigkeit: 5,2 kn
Motorstunden: 20 Stunden
Schäden: SUP Halter verbogen
Weitere Fotos von den drei verschiedenen Inseln gibt es hier: Antigua, Barbuda und St. Maarten.
Die ausführliche Reportage zu Barbuda findet ihr im Heft „Reportagen“, September 2023.