Bequia – Insel der Bootsbauer und Walfänger

Die Admirality Bucht von Bequia gilt seit Jahrhunderten als einer der sichersten und ruhigsten Naturhäfen der Karibik. Das Wasser ist still und klar, die grün bewaldeten Hügel umschließen die Bucht in einer sicheren Umarmung und feiner Sandstrand legt sich wie ein Gürtel um das türkisfarbene Wasser. Kein Wunder haben Piraten und Popstars gleichermaßen diese Bucht ausgesucht, um ihre Schiffe zu ankern und auch wir wollen gar nicht mehr weg.

Von Mabul aus können wir an den Princess Margaret Strand schwimmen, wo wir bei der Schmuckverkäuferin Fay eine Limonade oder ein Bier trinken. Wenn sich das Meer, von der Abendsonne beleuchtet, in golden, schimmernde Schuppenhaut verwandelt, kehren wir zum Boot zurück, oft begleitet von einer Meeresschildkröte, die den Kopf aus dem Wasser reckt.

Die Admirality Bucht in Bequia gilt als einer der besten Naturhäfen der Karibik

Seit der Ankunft in der Admirality Bay haben wir uns um einige Bootsprojekte gekümmert und sind in die Geschichte und Kultur der Insel eingetaucht. Bequia, eine Insel mit langer Schiffsbau Tradition, eignet sich bestens, um unsere Mabul wieder herauszuputzen. Als erstes kümmern wir uns um den Sonnenschutz unserer Genua, der von der karibischen Sonne schon arg angegriffen wurde, Risse und Löcher hat und geflickt werden musst.

Wir transportieren unsere Genua mit dem kaputten Sonnenschutz im Dinghy an Land

Mit dem Dinghy fahren wir die Genua an Land, wo wir einen Segelmacher suchen. In einem Segelloft unweit vom Pier werden wir fündig. Das Loft ist nicht mehr als eine Holzhütte, in deren Boden Einlassungen sind. Näher sitzen darin, vor sich ebenerdig auf dem Boden eine Nähmaschine, unter der Nadel ein Segel, das auf dem Boden ausgebreitet ist. Andere Nähmaschinen stehen auf Tischen und wirken wir Relikte aus ferner Vergangenheit. Die älteste Nähmaschine im Raum ist eine deutsche Maschine der Firma Adler aus den 1940er Jahren. «Die ist besser als jedes neuere Modell», sagt Avell Davis, der Segelmacher, ein großer, ernst dreinblickender Mann.

Bei Segelmacher Avell Davis sitzt ein Mitarbeiter an einer Nähmaschine aus den 1940er Jahren, hergestellt von der deutschen Firma Adler

Davis hat helle Haut, spricht aber mit dem melodiösen Singsang, wie er auf vielen karibischen Inseln gängig ist. Seine Wurzeln liegen in der fernen Kolonialzeit, in der sich Franzosen und Briten um die Karibikinseln zankten. 1763, nach dem siebenjährigen Krieg, einigten sich die Engländer und die Franzosen im Abkommen von Paris auf die Aufteilung der Karibik Inseln und anderer Gebiete. St.Vincent und die Grenadinen, sowie Grenada, Tobago, Dominica und Kanada gingen an die Briten, wobei die Franzosen St. Lucia, Guadeloupe und Martinique bekamen – die Lokalbevölkerung und die afrikanischen Sklaven, die bereits auf den Inseln lebten, wurden «selbstverständlich» nicht nach ihrer Meinung gefragt. Davis Vorfahren gehörten zu diesen ehemaligen Kolonialherren.

Avell Davis ist Segelmacher mit Leib und Seele

Der Segelmacher breitet unsere Genua auf dem Boden aus. Er macht und flickt seit 1984 Segel. Alles, so sagt er, liebe er an seinem Beruf. Vor allem die ständige Veränderung der Segel, die sich immer weiter entwickelten und deshalb auch ihn zwingen würden, auf dem neusten Stand zu bleiben und ständig zu lernen. Er schaut unser Segel mit prüfendem Blick an und sagt: «Ein gutes Segel, ein sehr gutes sogar, am Computer entwickelt. Doch wieso bloß haben sie einen so billigen Sonnenschutz verwendet? Der mag was taugen in Europa, aber nicht hier in der Karibik, wo die Sonne unerbittlich brennt…» 300 US-Dollar und einen Tag Arbeit veranschlagt Davis dafür, alle Nähte des Sonnenschutzes nachzunähen und die gerissenen Stellen zu reparieren. Bereits am nächsten Tag würden wir unsere Genua mit Sonnenschutz wieder abholen können. Welch ein Glück! Von anderen Seglern wissen wir, dass sie zum Teil wochenlang irgendwo feststeckten, weil die Segelmacher zu viel Arbeit hatten, um sich um weitere Segel zu kümmern.

Avell ist, wie wohl die meisten Bewohner von Bequia, ebenfalls Segler, doch ein eigenes Boot besitzt er nicht. «Mein Vater besaß einen Schoner, selbst gebaut hier am Strand von Bequia», sagt er noch zum Abschied, dann macht er sich an die Arbeit.

Bequia war einst das Zentrum des Schiffbaus in der Karibik. 1939 wurde hier die 165 Fuss lange «Gloria Colita» ins Wasser gelassen, das größte Handelsschiff aus Holz, das je in der Karibik gebaut worden war. Im Mai 1941 wurde Gloria Colita von der US-Küstenwache gesichtet. Sie trieb auf dem offenen Meer, ihre Crew war spurlos verschwunden und bis heute weiß niemand, was mit ihr geschehen war. (Quelle: Bequia Heritage Museum)

Einst war Bequia das Zentrum des Schiffbaus in der Karibik. Hier in der Admirality Bay wurden seit dem 18. Jahrhundert große Schoner, also Mehrmaster aus Holz, am Strand gefertigt und zu Wasser gelassen. Die große, hervorragend geschützte Bucht mit ihrem langsam abfallenden Sandstrand und dem guten Ankergrund galt schon damals als bester Naturhafen der Region. Der berühmt berüchtigte englische Pirat Edward Teach, der als «Blackbeard» in die Geschichte einging, ankerte das französische Handelsschiff «La Concorde» hier in der Admirality Bay. Er hatte das Schiff mit seinen 16 Kanonen und 10 Kilogramm Gold und den Überlebenden, einer ermatteten französischen Crew und afrikanischen Sklaven, am 28. November 1717 kurz vor St. Vincent erbeutet. Bequia war damals noch wenig besiedelt. Auf dem Papier war die Insel damals noch unter der Kontrolle der Franzosen, die es aber versäumt hatten, hier eine Marinebasis aufzubauen. Blackbeard nutzte die Bucht, um die «La Concorde» wieder auf Vordermann zu bringen, sie mit 40 Kanonen auszurüsten und umzubenennen. Von nun an hieß das Schiff «Queen Anne’s Revenge» und war das stärkste und gefürchtetste Schiff von Amerika bis in die Karibik. Sie war nicht das einzige Schiff, das in Bequia Promi-Status erreichte.

Die «Friendship Rose» war lange Zeit das Fähr- und Postschiff, das zwischen St.Vincent und Bequia hin und her segelte – heute dient sie Touristen für Tagesausflüge.

Die «Friendship Rose» ist ebenfalls eine Berühmtheit aus einer vergangenen Zeit, die wir jedes Mal bestaunen, wenn wir mit dem Dinghy in den Hafen fahren. Der weiß leuchtende Zweimaster mit dem blauen Streifen wurde am Strand der Admirality Bucht aus Holz, ohne modernes Werkzeug und nur mit dem Horizont als Wasserwage gebaut und 1969 ins Wasser gelassen. Sie diente als Fähr- und Postschiff zwischen Bequia und St.Vincent und fuhr einzig unter Segel, was nicht ungewöhnlich war. Bis in die 1950er Jahre hatten alle Schiffe, die in der Admirality Bucht lagen, keine Motoren und segelten in und aus der Bucht. Heute tuckern die großen Fähren laut hupend in die Bucht ein und die Friendship Rose wird nun als Touristen-Schiff für Tagestouren benutzt.

Eine Mini-Version der «Friendship Rose» ist im Modellboot Museum am Hafen ausgestellt.

Eine Mini-Version der Friendship Rose schauen wir uns im Modellboot Laden, der an der kleinen Hafenstrasse liegt, an. Christopher sitzt vor dem Laden und schnitzt an einem kleinen Holzboot. Um ein Modellboot fertigzustellen, brauche er sechs Wochen, sagt Christopher. Er verkauft die Miniaturen für 400 bis 1000 US-Dollar – vor allem an die Passagiere von Kreuzfahrtschiffen, die nun täglich von ihren seefahrenden Städten in kleinen, roten Rettungsbooten, die wie UFOs aussehen, an Land gefahren werden. Seit 30 Jahren arbeite er hier, sagt Christopher, und fertige Modellboote aus demselben Holz, aus dem früher die großen Schoner gemacht wurden: Zedern und Pinien von den Wäldern der Insel und Mahagoni und anderes Hartholz aus Guinea. Auf Fotos aus den 1950er Jahren sieht man wie die Hänge um die Admirality Bucht damals kahl waren. Die Bäume waren allesamt zu Schiffen verarbeitet und die Wälder erst in den vergangenen Jahrzehnten wieder aufgeforstet worden.

Bob Dylan ließ sein Schoner «Water Pearl» in Bequia bauen – wenige Jahre später zerschellte sie an einem Riff (Quelle: southernwoodenboatsailing.com)

Christopher erzählt uns von einem weiteren bekannten Weltenbürger, der die Admirality Bucht und die Handwerkskunst der Bewohner von Bequia genutzt hatte, um hier für sich ein Schiff bauen zu lassen: Bob Dylan. Der Singer-Songwriter ließ sich von den Bootsbauern von Bequia einen 68 Fuss langen Schoner aus weißer Zeder und guyanischem Hartholz bauen, die er «Water Pearl» nannte. Doch die «Water Pearl», die 1980 ins Wasser gelassen wurde, zerschellte bereits fünf Jahre später an einem Riff in der Nähe des Panama Kanals. Christopher sagt – und ich glaube, Schadenfreude in seiner Stimme zu hören -, der Kapitän habe die erfahrene Crew aus Bequia durch eine unerfahrene, amerikanische ersetzt, die dann das Boot auf das Riff gefahren hätte.

Ein Geschenk eines Fischers: Languste als Dank für einen Geldwechseldienst

An den Nachmittagen, wenn sich Kreuzfahrt-Gäste wie ein Schwarm emsiger Ameisen im kleinen Städtchen verteilen, bleiben wir an Bord von Mabul. An einem Mittag, als ich gerade aus Sternfrüchten und Gurken einen Salat zubereite, klopft jemand ans Boot. Es ist ein lokaler Fischer, der mit zwei Hundert Franken Scheinen wedelt. Ob ich ihm die wechseln könne, fragt er, die lokale Bank wolle die Schweizer Franken nicht. Ich gebe ihm US-Dollar für die Franken, er nimmt sie erfreut und fragt: «Magst du Langusten?» Dann hebt er eine riesige Languste hoch, reicht sie mir und sagt: «Du hast mir geholfen, ich helfe dir. Guten Appetit!» Ich schaue auf die Languste, die nun langsam über Mabul krabbelt.….Einen solch großen Topf haben wir gar nicht, denke ich und hebe sie hoch.

Der Walfang hat in Bequia eine lange Tradition (Quelle: Bequia Heritage Museum)

Das Meer ist seit Jahrhunderten das natürliche Jagdrevier der Bewohner von Bequia. Nicht nur der Schiffsbau, sondern auch der Walfang hat hier eine lange Tradition. Wir wollen mehr über den Walfang und seine Hintergründe erfahren und machen uns zu Fuss auf, um auf der anderen Seite der Insel das Heritage Museum zu besuchen und mit den Walfängern zu sprechen. Nach einem halbstündigen Marsch über die hügelige Insel erreichen wir die Atlantikseite und die Friendship Bucht. Dort, auf einer vorgelagerten Insel, befindet sich auch die letzte Walfang Station von Bequia.

Vor der Friendship Bucht auf der Atlantikseite der Insel liegt die letzte Walfang Station

Über der Friendship Bucht auf einer Anhöhe liegt das Heritage Museum in zwei kleinen Gebäuden. Eine Engländerin, die seit Jahrzehnten auf der Insel lebt, erläutert in einer Präsentation und anhand der ausgestellten Artefakte die Geschichte der Insel. Im angrenzenden Gebäude führt die 47-jährige Suni Ollivierre zwischen alten Walfängerbooten, Harpunen, bemalten Walknochen und Fotografien hindurch. Suni ist eine Urururenkelin des legendären Walfängers Joseph Ollivierre. Bei ihren Erzählungen wird schnell klar: Nicht die Bewohner von Bequia haben mit dem Walfang begonnen, sondern die Yankees kamen Anfang des 19 Jahrhunderts nach Bequia, um in den Wassern vor der Insel Wale zu jagen. Sie kamen mit großen Schiffen, an denen kleinere befestigt waren, mit denen sie dann die Wale jagten. «Iron Duke» hieß eines dieser Schiffe, das noch heute in Bequia liegt. Mitte des 19. Jahrhunderts begannen einige der Bewohner Bequias auf den Schiffen der Yankees anzuheuern, denn der Wirtschaft auf Bequia ging es schlecht – eine Folge der komplett verfehlten Landwirtschaftspolitik der britischen Kolonialherren.

Die Briten, hungrig nach Zucker, ließen damals auf Bequia Zuckerrohr anbauen – eine Schnapsidee auf einer Insel, die über keine einzige, natürliche Wasserquelle verfügt, sondern zu 100 Prozent auf Regenwasser angewiesen ist. 1829 hatte Bequia neun Zuckerrohr Plantagen und mehrere kleinere Baumwollplantagen, sowie eine Kirche. Von den 1400 Bewohnern waren mindestens 1200 Sklaven aus Afrika. Die Zuckerproduktion war jedoch von kurzer Dauer und erreichte ihren Höhepunkt 1828, bevor sie in den darauffolgenden Jahren restlos zu Grunde ging und damit nicht nur das Einkommen der Plantagebesitzer, sondern auch der armen Arbeiterschicht zunichte war. Während die meisten kolonialen Plantagebesitzer nach England zurückkehrten, blieben mindestens 700 ehemalige Sklaven aus Afrika, die auf den Plantagen gearbeitet hatten, auf der Insel zurück und suchten nach einem neuen Einkommen – und so begannen sie, was bereits für die Yankees lukrativ war: Wale zu jagen. Doch nicht nur die ehemaligen Sklaven blieben auf der Insel, auch einige Nachkommen der Kolonialherren hofften, dank der Wale auf Geld und Ruhm.

«Der junge «Old Bill» Wallace Junior, Sohn eines ehemaligen Zuckerrohrplantagebesitzers aus Schottland, gilt als Begründer des Walfangs», erklärt Suni. Wallace Junior verließ Bequia 1855 im Alter von 15 Jahren, um als Lehrling auf einem Walschiff aus Neu England zu arbeiten. Fünf Jahre später kehrte er mit dem kleinen Walfängerboot «Iron Duke» und einer Frau in die Friendship Bucht zurück, bereit seine eigene Insel mit dem Walfang reich zu machen oder zumindest genügend Einkommen für sich und die Bewohner zu schaffen. Eine zweite Walfangstation wurde vom Großgrundbesitzer Joseph “Pa” Ollivierre gegründet. Er war Sohn eines französischen Baumwollplantagebesitzers, der sich bereits vor den Briten in Bequia niedergelassen hatte, und ist ein Vorfahre von Suni.

Bald wurde der Walfang zu einer der wichtigsten Einnahmequelle der Insel. Das Fleisch der Wale diente den Bewohnern von Bequia als Nahrung, das Fett wurde zu Öl verarbeitet und exportiert. Zwischen 1891 und 1903 exportierte Bequia eine halbe Million Gallonen, also fast zwei Millionen Liter, des Walöls nach England und in die USA, wo es als Maschinen-, Motor- und Lampenöl verwertet wurde. Walöl war damals vergleichbar wichtig wie heutiger Diesel oder Benzin. Es wurde auch in Seife, Kosmetika oder Cremes verwendet. Erst als Kerosin, Petroleum, Gas und Strom entdeckt wurden, verlor das Walöl an Wichtigkeit.

Im Heritage Museum von Bequia sind alte Walfängerboote, Harpunen und bemalte Walknochen ausgestellt

Jahrzehntelang lebten die Inselbewohner gut vom Walfang – bis die Norweger kamen. Sie begannen ab dem späten 19. Jahrhundert in den Wassern vor Bequia und bis nach Grenada Wale zu jagen. Nach dem zweiten Weltkrieg bauten sie auf einer kleinen Insel vor Grenada eine Walfabrik. Im ersten Jahr ihrer großangelegten Walfangoperation töteten sie 700 Wale. In wenigen Jahren vernichteten sie die Walbestände im Meer um Grenada und Bequia und da es nichts mehr zu holen gab, kehrten sie zurück nach Norwegen und überließen die leeren Gewässer den Einheimischen. Zwischen 1949 und 1957 fingen die Bewohner von Bequia keinen einzigen Wal mehr, erst 1957 erlegten sie drei Tiere. Mit dem Gewinn aus dem Verkauf des Wals bauten sie ein neues Walfängerboot, die «Dart». Dieses Boot gehörte dem Ururgroßvater von Suni Ollivierre.

Schätzungsweise drei Millionen Wale töteten die Norweger, die Amerikaner, Isländer und Japaner, sowie weitere Nationen im 20. Jahrhundert. Diese sogenannt fortschrittlichen Nationen waren es, die die Wale weltweit beinahe ausrottet. Um dies zu verhindern und den Walfang weltweit zu regulieren wurde 1946 die International Whaling Commission (IWC) gegründet. Ihr gehören heute 88 Nationen an. 1986 verbot die IWC den kommerziellen Walfang weltweit, erlaubt jedoch einzelnen indigenen Gemeinschaften weiterhin eine begrenzte Anzahl von Tieren zu jagen. So dürfen die Walfänger von Bequia jährlich vier Buckelwale jagen. Die Jagd muss dabei nach traditioneller Art und Weise ablaufen: die Jäger dürfen keine Motorboote und keine modernen Waffen einsetzen, sondern nähern sich den Walen auf einem kleinen Boot unter Segel mit einer handgehaltenen Harpune.

In Bequia werden die Walfänger, allen voran der Harpunist, bis heute wie Popstars gefeiert. Deshalb machen wir uns auf die Suche nach ihnen und finden sie in Paget Farm, einem kleinen Fischerdorf auf der Atlantikseite.

Im Fischerdorf Paget Farm sind die Wale omnipräsent

Kingsley Stow, ein großgewachsener Mann, dessen Augen schalkhaft funkeln, ist der Chefwalfänger, der Harpunist und Besitzer des letzten verbleibenden Walfängerboots von Bequia. Kingsleys Boot liegt noch abgedeckt am Strand, gleich neben einer Bar, die mit bemalten Walknochen geschmückt ist. An der Straße steht zudem ein riesiger Walknochen, auf dem alle Namen der Walfänger stehen. Es sind elf und zuoberst steht in schwarzen, großen Lettern «Kingsley Stowe». «Ich bin der Chefwalfänger, jener, der die Harpune auf den Wal schleudert und ihn am Ende tötet», sagt der 63-Jährige und Stolz schwingt in seiner Stimme.

Kingsley Stow ist der Chefwalfänger der Insel. Auf Bequia ist er berühmt wie ein Popstar

Alle seine Vorfahren seien Walfänger gewesen, sagt Kingsley, deshalb sei er vor vielen Jahrzehnten selbst zum ersten Mal aufs Meer gesegelt, um mit den anderen Männern einen Wal zu jagen. Seit Jahren nun leitet er die fünf anderen Männer, die mit ihm lossegeln, sobald sie die Fontäne eines Wals vor Bequia sichten. Dann eilen alle zum Strand. Das Boot wird gesegnet, bevor die Männer lossegeln. Früher wurden Vorboten aufs Meer geschickt, die mit Spiegeln, in denen sich das Licht reflektierte oder mit Feuerzeichen die Walfänger an den richtigen Ort lockten. Es gilt, möglichst nahe an den Wal heranzukommen, um ihn dann mit einem Stoß der Harpune, die mit einem Seil mit dem Boot verbunden ist, ans Boot zu binden. Wenn Kingsley erzählt, wird klar, wie gefährlich die Jagd noch heute ist und wie wenig sie mit dem industriellen Schlachten zu tun hat. «Das gefährlichste ist die Flosse. Schlägt der Wal zu, dreht er sich schnell, dann macht er Hackfleisch aus dem Boot und uns. Deshalb beobachte ich ihn genau, bevor wir uns nähern und ich zusteche», sagt Kingsley. In diesem Jahr fingen Kingsley und seine Männer keinen Wal, sondern dieser beschädigte sein Segel und sein Boot. Im letzten Jahr fingen er und seine Männer einen Wal. Seit ihnen die IWC 2013 die Quote von vier Walen pro Jahr zugesprochen hatte, fingen sie nur in einem Jahr vier Wale.

Kingsleys Walfangboot ist noch abgedeckt. Die Walfangsaison beginnt im Januar und dauert bis April

Wenn er die Harpune auf den Wal werfe, dann sei das nicht das Ende der Jagd, sondern erst der Anfang. «Schnell muss ich dann ein Seil um den Walkörper schlingen. Schaffe ich das, zieht uns der Wal wie eine Schnellfähre durch die Bucht, bis er müde wird und wir ihm den tödlichen Stich in die Lungen oder das Herz versetzen können. Taucht er aber vorher ab, haben wir verloren.» Buckelwale können bis 200 Meter tief tauchen, tauchen sie ab, müssen die Walfänger das Seil schnellst möglich durchschneiden. Tun sie das nicht, reißt sie der Wal in die Tiefe.

Noch heute sei der Walfang enorm wichtig für die Insel, nicht nur aus alter Tradition, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen, sagt Kingsley. Er zumindest kann von einem Wal fast ein halbes Jahr leben und nichts werde verschwendet: «Jeder auf dem Boot bekommt seinen Teil an Fleisch und ich als Chefwalfänger, bekomme zweimal so viel.» Das Fleisch verkaufen wir an die Inselbewohner, die es im Walfett braten. Die Knochen werden bemalt. Exportiert werden darf nichts mehr, sondern der gesamte Wal bleibt auf Bequia.

Suni Ollivierres Vorfahren waren berühmte Walfänger. Sie führt durch das Heritage Museum.

Werde ein Wal gefangen, dann sei das ein Festival, ein Brauch, der unwiderruflich zur Identität der Inselbewohner gehöre und ihren Zusammenhalt stärke, sagt Suni Ollivierre. Noch heute erinnert sich Suni, wie sie jeweils aus der Schule rannte und mit vielen anderen Inselbewohnern zur Walfängerstation übersetzte, wenn die Segel der Walfänger zu flappen begannen und alle riefen «Fast tow! Fast tow», was bedeutete, dass der Wal ans Boot festgemacht war und dieses durch die Bucht schleppte. Jeder wollte Teil sein dieses Großereignisses und jeder wollte ein Stück Fleisch.

Auch wenn die Bewohner von Bequia heute nur noch marginal vom Walfang lebten, wichtig sei er noch immer, sagt Suni: «In einer Zeit wie dieser, in der unsere Kultur durch den Einfluss vieler ausländischer Besucher und neuer Landbesitzern verwässert wird, ist der Walfang eine Tradition, die uns an unsere gemeinsame Vergangenheit und Geschichte erinnert und uns in unserer Identität bestärkt.»

Ein Walknochen in einer Bar von Bequia

Natürlich gibt es auch auf der Insel Leute, die dem Walfang kritisch gegenüber stehen, die sagen, die Fischer sollten besser Walbeobachtungstouren anbieten und so mit den Touristen Geld verdienen, als die Wale zu töten. Aber Suni und Walfänger Kingsley sagen: «Und wer garantiert uns, dass wir Wale sehen und wer zahlt das Schiff und den Kapitän, wenn nicht?» «Wer uns für den Walfang kritisiert, weiß nicht, von was er spricht und sicher hat er andere Möglichkeiten, Geld zu verdienen», ergänzt Kingsley. Heute verlassen viele junge Leute Bequia, um auf Kreuzfahrtschiffen, im Tourismus oder auf Ölplattformen anzuheuern. Bequia ist zwar eine Perle in der Karibik, aber hier zu überleben und Geld zu verdienen, ist noch immer schwierig.

Sowohl Suni als auch Kingsley sind sich einig, dass nicht sie, die Bewohner von Bequia, eine Gefahr für die Meeressäuger darstellen, sondern die Nationen, die trotz dem Verbot des kommerziellen Walfangs, die großen Säuger abschlachten. Wer sich die Zahlen anschaut, der muss Suni und Kingsley recht geben. Denn obwohl der kommerzielle Walfang seit 1986 verboten ist, töten Japan, Norwegen und Island bis heute jedes Jahr ungefähr 1500 Wale und mit ihnen sterben auch Delfine und Kleinwale. Wie steht das im Verhältnis zu einem, zwei oder höchsten vier Walen, die die Walfänger von Bequia jährlich töten? Und welches Recht haben wir, Kritik an dieser alten Tradition zu üben? Wir, die nichts vom Meer wissen, außer dass wir Meeresfische essen, die mit großen Schleppnetzen von Schiffen, die als schwimmende Fabriken über die Weltmeere treiben, gefangen und dann um die halbe Welt transportiert werden?

Auch wenn ich Wale lieber lebend als tot sehe, auch wenn ich mir wünschen würde, der Walfang existierte nicht mehr und die Tiere würden überall geschützt und dieser Schutz geachtet, steht es mir nicht zu, über die Walfänger von Bequia zu urteilen. Und zumindest für die Art dieser Jagd, den Mut und das Können dieser Männer, empfinde ich eine stille Bewunderung. Hier geht es nicht um einen ungleichen Kampf, um alles vernichtende Massenvernichtungsmaschinen, die die Weltmeere leerfischen, sondern einen Kampf, bei dem beide Parteien ihre Kräfte und ihren Verstand messen und ähnliche Chancen auf den Sieg haben. In diesem Jahr zumindest trugen die Wale den Sieg davon und die Walfänger mussten ihr Boot reparieren.

Alex und ich hatten einige hitzige Diskussionen über das Für und Wider des Walfangs in Bequia (höre auch Podcast Episode 20). Wenn die Waljagd Anfang Januar beginnt und die Buckelwale bis im April an Bequia vorbeiziehen, werden wir nicht mehr hier sein.

Letzter Sundowner am Princess Margaret Strand vor unserem langen Schlag nach Martinique

Wir setzen nun die Segel und beginnen unseren ersten langen Schlag, der uns durch eine Nacht und einen Tag bis nach Martinique führen wird. Unsere Genua ist wieder wunderbar vor der Sonne geschützt, Dank Segelmacher Avell Davis und der langen Tradition von Bequia.

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Veröffentlicht von Karin

1 Kommentar

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