Segel Log: Tyrell Bay – Tobago Cays

Der angesagte Sturm ist da! Winde fegen mit bis zu 60 Knoten über die Tyrell Bay und lassen alles im und am Boot klappern und zittern. Also: Luken dicht machen und Rückzug in die Kajüte. Am Morgen nach der ersten Sturmnacht werden wir von aufgeregten Rufen geweckt.

Die zwei Katamarane zu unserer Steuerbordseite liegen gefährlich nahe beieinander. Der Anker des Vorderen hat sich im Sturm gelöst, so dass er nun auf wenige Meter an seinen Nachbarn herangerutscht ist. Auf dem Hinteren steht der Skipper und versucht aufgeregt den Skipper des vorderen Katamarans zu wecken und auf die Gefahr aufmerksam zu machen. Endlich streckt dieser den Kopf aus der Luke, tritt ins Cockpit, steht an die Reling und pinkelt zuerst einmal ins Wasser. Dann erst lichtet er den Anker und macht sich auf, um in der Bucht einen neuen Platz zu suchen. Später sehen wir ihn, wie er wie wild durch die Bucht flitzt, nirgendwo scheint sein Anker zu greifen.

Zwei Tage lang fegt ein Sturm über die Bucht

Langsam scheint die Bucht zu erwachen und wir setzen uns mit einer Tasse Kaffee ins Cockpit, um die umliegenden Boote zu beobachten. Bald sehen wir, dass auch das graue Boot auf unserer Backbordseite zu rutschen beginnt und zwar direkt auf ein geankertes Boot, das hinter ihm liegt, zu. Doch niemand kann man auf dem grauen Segelboot wecken, es liegt herrenlos in der Bucht und den Seglern in seiner Gefahrenzone bleibt nichts anderes übrig, als Anker zu lichten und sich ein paar Meter vor das graue Boot zu legen, dessen Anker, nachdem es Dutzende von Meter durch die Bucht gerutscht ist, endlich wieder greift.

Den ganzen Tag über beobachten wir die Bucht. Den ganzen Tag, während der Wind erbarmungslos bläst und zischt und an den Booten zerrt, werden Boote umgeankert. Auch wir müssen Anker lichten, weil wir auf einmal gefährlich nahe an unseren französischen Nachbarn sind. Die Anker halten zwar, aber unsere Schwingradien sind unterschiedlich: wir haben viel, sie wenig Kette draußen und da ihr Motor anscheinend nicht funktioniert, rücken wir mit Mabul weiter Richtung Buchtausgang, um einen Zusammenprall zu vermeiden.

Da bleibt man lieber drin….

Als wir uns versichert haben, dass wir weder andere gefährden, noch von anderen gefährdet werden, ziehen wir uns wieder in die Kajüte zurück. Hier herrscht eine Stimmung wie in einer Skihütte. Wir zünden einige Lichter an, machen es uns gemütlich, arbeiten an der Website, lesen und bereiten einen neuen BoatCast vor. In der Episode 9 über den Sturm, könnt ihr euch anhören, wie Wind und Wetter an unserem Boot und an unseren Nerven gezerrt haben.

In der Nacht frischt der Wind nochmals auf und die Wellen werden ruppiger. Wir schaukeln mit aller Kraft von Steuerbord auf Backbord. An Schlaf ist wieder nicht zu denken, zudem merke ich, dass ich wie eine Mutter auf ihr Baby, immer mit einem Ohr auf die Wellen, den Wind und die Bootsgeräusche achte – immer darauf bedacht, schnell aufzustehen, um unsere Position zu prüfen und allfällige Gefahren zu erkennen.

Am zweiten Tag werfen wir zum ersten Mal den Generator an, da unsere Solaranlage nicht mehr genügend Strom produziert. Das bedeutet auch, dass wir zum ersten Mal warmes Wasser haben. Über all die Wochen haben wir immer am Heck des Boots geduscht, kalt, nun, Dank des Generators, wird das Wasser geheizt und wir gönnen uns eine warme Dusche im Bad – meine zweite warme Dusche seit ich an Bord bin. Was für ein Luxus!

Nach zwei Tagen ist der Sturm – der inzwischen den Namen Julia bekommen hat – vorbei und weitergezogen. Es zeigen sich erste Sonnenstrahlen und wir machen einen Ausflug an Land. Wir essen frische Croissants, Pain au Chocolat und ein Mandel Croissant im «Frog Restaurant» über der Tauchschule und betrachten von hier aus die Schiffe, die nun wieder ruhig schaukelnd vor Anker liegen.

Patos und Julie, zwei segelnde Zirkusartisten

Das Frog Restaurant wird von einem kanadischen Paar, zwei Zirkusartisten, geführt. Die beiden leben bereits seit zwanzig Jahren auf ihrem Segelboot. Sie sind zu Beginn der Pandemie nach Carriacou gekommen und geblieben, weil sich diese Insel wie Heimat anfühle, erzählten sie mir. Hier haben sie das Frog Restaurant übernommen und wollen nun eine abendliche Zirkusshow mit Artisten aus aller Welt aufbauen. Bereits organisieren sie jeden Montag Abend ein Barbecue, stellen eine Slackline auf und Einräder bereit. Mehr über ihre Geschichte und was Segeln und Zirkus gemein haben, erfahrt ihr im BoatCast Episode 12.

An der Straße kaufen wir bei einem Gemüsehändler Avocados, Passionsfrüchte und Brotfrucht ein, um unsere Hängematte, die wir durch die Kajüte gespannt haben und die uns zur Aufbewahrung von Früchten und Gemüse dient, zu füllen. Dann erledigten wieder diverse Bootsprojekte: Waschen, Silikonfugen in der Küche erneuern, Deck und Cockpit schrubben. Am späten Nachmittag kommen Horst und seine Labradorhündin Zoey – wir hören sie schon von weitem laut bellen – in der Tyrell Bay an. Es ist der erste längere Ausflug den Horst seit der Abreise seiner Frau Amy – höre BoatCast Episode 4 – unternimmt. Er hat sich entschieden, seinen Traum wahr zu machen – wenn auch ohne Frau und nur mit der Hündin. Am Abend treffen wir uns mit Jay, Horst, Iain und Brioni, die alle in unserem BoatCast zu Wort kommen, zum Essen. Es fühlte sich an wie eine kleine Klassenzusammenkunft und über einem heißen Curry sprechen wir über die neusten Bootsprojekte und denkwürdigsten Pannen. Wahrscheinlich unterscheidet das die Cruiser von den Regatta-Segler: die Cruiser sprechen mehr über Pannen, als über Siege.

Oktober, Hillsborough, Carriacou

Obwohl das Wetter noch immer wenig mehr als Wind und Regen verspricht, nehme ich am Samstag mit Horst und Zoey am Hash, einer Wanderung auf Trampelpfaden, die uns von der Atlantikseite der Insel auf die Westseite führt, teil. Alex bleibt an Bord und will die Fugen in der Küche noch fertig ausbessern. Die Hash House Harriers, die den Hash organisieren, wurden 1938 in Kuala Lumpur von Briten gegründet. Die Briten folgten dabei dem «Hare and Hounds» einem britischen paper chase. Harriers und Harriettes jagen hinter einem Hare her auf einer Strecke von vier bis zehn Kilometern entlang von kleinen Pfaden, Wäldern und Feldern. Es ist eine Kombination aus Orientierungslauf und Wanderung und geht dabei vor allem darum eine gute Zeit zu haben, denn am Ende wartet Essen und Bier. Während des Zweiten Weltkriegs gab’s keine Hashes, aber um 1946, also nach dem Krieg, begannen die Hashes wieder. 1962 wurde dann ein neues chapter von Hashers in Singapore gegründet. Chapters heißen «Kennels» und folgen damit der Tradition von Hound und Hare clubs. Die Idee verbreitete sich danach im fernen Osten, im Südpazifik, Europa und Nordamerika. Heute gibt es 1500 Kennels, ein besonders aktives befindet sich in Grenada. Sie organisieren jeden Samstag einen Hash, dieses Mal findet er auf der Nachbarsinsel Carriacou statt.

Der Hash in Carriacou: eine Mischung aus Wanderung und Orientierungslauf

Mehrere Dutzend Leute haben sich zum Hash versammelt. Es gibt einen Pfad für Läufer und einen für Wanderer. Der Hash führt quer durch den Busch und die Route ist markiert mit kleinen Papierschnipseln. Zuerst gehen wir dem Strand entlang, der mit allerlei Plastikmüll verdreckt ist, dann über einen schlammigen Pfad durch den Dschungel über den Hügel. Es beginnt zu regnen und der bereits matschige Pfad verwandelt sich in Sumpf, so dass wir immer wieder im Dreck stecken bleiben. Doch das saftige Grün des Dschungels, die tropischen Pflanzen und die unglaubliche Aussicht über die Bucht von der Hügelspitze aus, machen den Ausflug zu einem Erlebnis. Auch Labradorhündin Zoey scheint glücklich zu sein, mehr oder weniger festen Boden unter den Füssen zu haben und immer wieder eine Echse zum Jagen zu entdecken. Ich genieße es wieder einmal Land und Wald und Schlamm zu spüren. Das tut gut nach den Sturmtagen.

Am Sonntag klart das Wetter endlich auf, zumindest regnet es nicht mehr, und Alex, schon ganz ungeduldig endlich wieder Segel setzen zu können, drängt zur Abfahrt. So verlassen wir die Tyrell Bay und segeln zwei Buchten weiter nach Hillsborough, die Hauptstadt von Carriacou. Der Propeller macht wieder ratternde Geräusche und einer der beiden Autopiloten funktioniert auch nicht und steuert das Boot in Schlangenlinien durchs Wasser, Bootsleben eben: wenn ein Problem gelöst ist, taucht sofort ein neues auf. In Hillsborough angekommen, nähe ich die Lasche, die uns vor wenigen Tagen beim Segelhochziehen abgerissen ist, wieder an den Stackbag – mit starker, gewachster Schnur und einer dicken Nadel.

Oktober, Sandy Island

Nach einer Nacht vor Hillsborough beginnen wir unter Motor die kurze Strecke zu Sandy Island zurückzulegen. Die winzige Insel liegt kurz vor Hillsborough, ist nicht mehr als ein Sandstreifen – Fotos dazu findet ihr in unserer Fotogalerie -, gebogen wie eine Banane, bewachsen mit ein paar Palmen. Um die ganze Insel herum sitzen graue Pelikane im Wasser, den Schnabel nach unten gerichtet, den Kopf gesenkt wie artige Hofdamen. Andere lassen sich mit dem Wind nahe über die Wasseroberfläche treiben oder stechen aus grosser Höhe kerzengerade ins Wasser, um sich einen Fisch zu schnappen.

Sandy Island vor der Küste Carriacous. Ein Strand wie aus dem Prospekt.

Bereits nach wenigen Minuten Fahrt erklingt ein lautes Piepgeräusch und wir merken, dass die Drehzahl des Motors nicht mehr angezeigt wird. Hatten wir etwas kaputt gemacht, vielleicht ein Kabel rausgerissen, als wir in den Eingeweiden des Boots herumgekrochen sind, um nach dem Grund für den defekten Autopiloten zu suchen? Und dann dieses Piepgeräusch, ein Alarm, ertönt es, weil die Drehzahl nicht erkannt wird? Kurz vor der Insel riechen und sehen wir den Rauch, der aus dem Maschinenraum kriecht. Sofort Motor aus, bloß, die Insel und ihr Korallenriff sind nah, die Strömung treibt uns geradewegs darauf zu…. In Windeseile ziehen wir die Segel hoch, wenden das Boot und segeln knapp an der Insel vorbei auf’s offene Meer. Während ich Kurs halte, steigt Alex in den Maschinenraum und untersucht den Motor.

Der gerissene Keilriemen ist ersetzt

Das Problem ist schnell gefunden: Der Keilriemen ist gerissen, der Motor war überhitzt. Während ich von der Insel weg segle, ersetzt Alex den Keilriemen. Alles spielt sich innerhalb von zwanzig Minuten ab, dann machen wir eine Q-Wende und nehmen wieder Kurs auf Sandy Island. Beim zweiten Versuch, diesmal ohne Zwischenfall, werfen wir Anker vor der Insel. Kurz darauf ankert ein kleines Segelboot vor uns. Ein Segelboot ohne Mast, das so eigenartig verkrüppelt aussieht. Unverkennbar an der Fahne kommt seine Crew aus Deutschland. Bald lernen wir sie am Strand kennen, Martin, der große Passagen als Einhandsegler macht und seine Partnerin Anke. Wenn ihr mehr über ihre Geschichte, wie Martin zum YouTube Star geworden ist und wie er seinen Mast auf dem Atlantik verloren hat, erfahren möchtet, hört die Episode 11 unseres BoatCasts.

Sandy Island aus der Luft

Seit zwei Monaten bin ich nun auf Mabul. Ich habe mich an den begrenzten Raum auf dem Schiff, das Schaukeln, das neue Leben gewöhnt, habe es liebgewonnen. Jederzeit Anker lichten und weitersegeln zu können, bedeutet Freiheit. Das Meer als Lebensraum gewonnen zu haben, ohne es besitzen zu wollen oder zu können, erscheint mir als grosser Reichtum. Sandy Island ist dabei ohne Zweifel der schönste Ort auf unserer bisherigen Reise. Ich liebe es, am Morgen aufzuwachen und den Pelikanen und anderen Vögel zuzuschauen, wie sie vor der Insel über dem Wasser kreisen, dann die Flügel anlegen und wie Kamikazeflieger ins Wasser niederschießen, um sich einen Fisch zu schnappen. Meist sieht man sie danach, wie sie den Kopf recken, der Fisch noch einen Moment in ihrem Beutel unter dem Schnabel hängt und sie ihn dann mit Wasser runterspülen. Dann, ein paar Flügelschläge, und sie starten zu einer neuen Runde, einem neuen Angriff. Die Pelikane sind unterschiedlicher Farbe, manche grau, andere weiß oder dunkel, oft fliegen sie in Paaren. Wenn sie auf dem Wasser landen, um sich einen Moment auszuruhen, strecken sie kurz vor der Landung die Füße aus, um sie wie einen Bremsblock ins Wasser zu lassen.

Pelikane scheinen den ganzen Tag hungrig zu sein

Auf Alex und mich üben die Pelikane eine große Faszination aus. Stundenlang kann ich den Vögeln zuschauen, wie sie nichts anderes tun, als Angriffe fliegen, fressen, sich ausruhen, wieder losfliegen. Den ganzen Tag. Manchmal lassen sie sich mit dem Wind, der hier stetig bläst, wegtreiben. Ob sie Spaß dabei haben? Nie scheinen sie sich aufzuregen, wenn ein Angriff vergebens war, sie einen Fisch nicht geschnappt haben, immer heben sie einfach wieder ab, fliegen gleichmäßig und beständig und mit einer unglaublichen Ruhe. Ich frage mich, ob das auch unser Leben sein könnte und was wir von diesen Vögeln lernen können. Nicht Gier oder übermäßiger Arbeitsdrang bestimmt ihr Leben, sondern sie holen sich, was sie gerade brauchen und wenn sie satt sind, ruhen sie sich aus. Mit Leichtigkeit lassen sie sich von den Elementen treiben, um dann blitzschnell und gezielt zu agieren. Nichts wirkt anstrengend oder verkrampft. Die Zeit zwischen den Angriffen nutzen sie, um sich auszuruhen. Wenn ich die Leute hier auf Carriacou und in Grenada sehe, dann denke ich: Wieviel mehr leben sie wie die Pelikane und wie ungesund leben wir in unserer sogenannt fortschrittlichen, hochentwickelten westlichen Welt, immer leicht gestresst hetzen wir von einem Ort zum nächsten, von einer Aktivität zur anderen, um uns dann in den Ferien wieder zu erholen, nur um uns gleich danach wieder abzukämpfen. Mit Balance, einem gesunden, ausgeglichenen Leben hat das wenig zu tun.

Und natürlich frage ich mich beim Anblick der Pelikane: Habe ich vielleicht falsch gelebt bis anhin? Immer getrieben, immer erpicht darauf, etwas zu leisten, zu tun – statt innezuhalten, zu spielen, zu genießen. Und noch immer fällt es mir schwer, einfach zu sein, nichts zu tun, sondern einfach zu beobachten und von diesen Beobachtungen zu lernen oder sie auch nur zu genießen.

Und doch sind wir, je länger wir auf dem Segelboot sind, immer mehr im Sein. Diese Momente des Innehaltens und Schauens, werden immer etwas länger, etwas bewusster. Oft sitzen wir still an Deck, betrachten die Sonne, wie sie am Horizont verschwindet und wie sich danach der Himmel in ein Farbenmeer aus Violet, Rosa und Türkisblau verwandelt. Dieses Violett, war es immer da? Habe ich es vielleicht einfach nicht gesehen? Was habe ich all die Jahre zum Sonnenuntergang gemacht? Gearbeitet? Und dann schiebt sich da ein kleiner Streifen Blau, der zu einem blauen Balken wird, ins Violett und es sieht aus, als habe jemand mit einem Pinsel die Farben an den Himmel gemalt, violetter Grund mit einem blauen Balken. Zu sitzen, den Himmel zu betrachten, die Vögel, den Moment ganz wahrzunehmen, erfüllt mich mit großem Glück und Zufriedenheit und ich denke: wie einfach es doch sein kann, glücklich zu sein.

Oktober, Anse la Roche, Carriacou

Nach mehreren Tagen vor Sandy Island setzen wir wieder Segel und steuern die Bucht Anse la Roche an. Wir erkennen die Bucht bereits vom offenen Meer, klein und grün ummantelt. In dieser winzigen, traumhaften Bucht fühlt man sich eingemummelt, umhüllt, beschützt von dem satt grünen Regenwald, der die Bucht umschließt. Vom Strand her hören wir Reggae Musik und kurz nachdem wir am späten Nachmittag Anker geworfen haben, setzen wir mit dem Dinghy über, um von Tim’s Bar aus den Sonnenuntergang zu beobachten.

Tim´s Bar und Restaurant in Anse la Roche ist ein Geheimtipp unter Seglern

Hinter der Bar, die aus ein paar Holzplanken besteht, steht Tim, die Dreads unter einer roten Mütze versteckt, und mischt einen Painkiller, einen Drink aus Rum, Kokoscreme, Ananassaft und Muskatnuss. Tim hat seine Beach Bar und das dazugehörige Restaurant erst kurz vor der Pandemie eröffnet, ist jedoch bereits eine Legende unter den Seglern. Sein gegrillter Hummer und Fisch gelten als die besten auf ganz Carriacou. Eigentlich kommt er aus Union Island, ist aber aus Liebe zu einer Frau nach Carriacou gezogen. Inzwischen hat er zehn Kinder von unterschiedlichen Frauen und seine Beach Bar. Kochen, so sagt er, entspanne ihn und aufs Meer zu blicken, bedeute für ihn Freiheit. Wir bleiben zum Essen und ja, Tim’s Hummer ist tatsächlich hervorragend!

In der kleinen Bucht liegen neben uns noch drei weitere Segelboote: eines gehört dem holländischen Paar, Aagje und Jeroen van den Heuvel, das mit ihrem indischen Sohn Rajesh auf Weltreise ist. Aagje ist Dentalhygienikerin. Vor acht Jahren war sie mit einem Zahnarzt in Indien unterwegs, um in einem Waisenhaus gratis Zahnbehandlungen zu geben, so lernte sie den indischen Waisenjungen Rajesh kennen. Aagje und ihr Mann spürten sofort eine spezielle Beziehung zu dem Jungen und blieben in Kontakt. Ein Jahr später kehrten sie ins Waisenhaus zurück und luden Rajesh ein, in Holland ein neues Leben mit ihnen zu beginnen. Sie wollten Rajesh adoptieren, doch dieser war bereits 18 Jahre alt. Wieso für das holländische Paar und Rajesh das Segelboot die einzige Option war, zusammen zu bleiben, erfahrt ihr in unserem BoatCast Episode 13. Auf einem anderen Boot leben die Amerikaner Steve Chmura und Amy Bowler. Die beiden arbeiteten vor ihrem Leben auf dem Meer in Alaska im Notfall eines Spitals. Sie haben unsere Bordapotheke genau inspiziert und uns den einen oder anderen Hinweis gegeben und uns auch erklärt, was zu machen ist, falls wir einen Finger in der Winsch verlieren oder bei einem Fehltritt einen Knochen brechen, den wir stabilisieren müssen. Ihre Geschichte und mehr über die medizinischen Aspekte eines Segelbootlebens erfahrt in der Episode 15 unseres BoatCasts. Auf dem dritten Boot leben zwei Schweizer, die seit zweieinhalb Jahren unterwegs sind und vor der spanischen Küste von Orcas angegriffen wurden. Ihre Geschichte erzählen sie in der Episode 14 unseres BoatCasts.

Auch Schlangen machen Mittagsschlaf

Nach einer ruhigen Nacht in der Bucht, machen wir uns mit Rajesh und Steve auf, um auf den höchsten Punkt des Hügels zu steigen. Ein kleiner Pfad, markiert mit roten Plastikschildkröten, die an die Bäume genagelt sind, führt den Hügel hoch. Wir stoßen auf kleine Krebse, die weit weg vom Strand ihre Häuschen den Wald hinaufschleppen, rote Ameisen, die Blätter, grösser als ihre Körper tragen, prächtige Schildkröten und eine Schlage, die sich zu einem Knäuel zusammen gerollt, um einen Baum gewickelt hat. Steve zeigt uns den oberen Teil einer Glasflasche, die von den Holländern stammte und zwei-, bis dreihundert Jahre alt ist. Er hatten die Flasche auf einem früheren Spaziergang entdeckt, als er mit einem anderen Segler, der jahrelang nach alten Wracks und Schätzen getaucht war, den Pfad hochmarschiert war. Der Schatzsucher erkannte das Alter, da man im Glas noch die Maserung der Holzform, in die man früher Glas gegossen hatte, sehen kann.

Blick nach Südwesten auf Hillsborough und Sandy Island

Auf der Hügelspitze angekommen, haben wir einen wunderbaren Blick auf die Atlantikseite und Petite Martinique, sowie Petit Saint Vincent, unser nächstes Ziel. Hungrig kehren wir nach drei Stunden zurück an den Strand und zu unserem Boot.

Nach einer zweiten Nacht in dieser heimeligen Bucht, wollen wir Anker lichten und weitersegeln. Wir ziehen das Großsegel hoch, machen das Dinghy fest, starten den Motor. Bloß ein langgezogenes Piepsen ertönt, der Motor aber springt nicht an. Ein Wackelkontakt, doch wo? Ein, zwei, drei Stunden sucht Alex nach dem Ursprung des Problems. Alle unsere Nachbarn kommen vorbei und bieten ihre Hilfe an. Die Solidarität und Großzügigkeit dieser unglaublichen Seglergemeinschaft erfreut und erstaunt mich jedes Mal. Ich habe jedoch auch gelernt, dass ich Alex bei Reparaturarbeiten am besten in Ruhe lasse, bis er die Lösung selbst gefunden hat.

Die stacheligen Seeigel mögen eine kulinarische Delikatesse sein, hergeben tun sie nicht viel

So ziehe ich Flossen, Brille und Schnorchel an und mache mich auf, Seeigel zu sammeln. In bester Erinnerung sind mir die Seeigelspeisen, die ich jeweils in japanischen Restaurants in Thailand gegessen hatte. Die fetten, gelben Fleischstreifen haben eine weiche Textur, fast wie Butter, und einen würzigen Geschmack. Jene Seeigel mit den weißen Stacheln, so sagte Tim, seien auch hier eine ausgesprochene Delikatesse – bloß, satt werde nur, wer 20 oder 30 sammle. Ich komme mit zehn Stück zurück, zerhacke sie auf dem Vordeck, doch finden tue ich nur ein paar winzige, gelbe Streifchen, die nach einer Mischung aus Gurke und Seegras schmecken. Das Vorderdecke ist nach der Seeigel-Aktion mit dem brackischen Wasser, das aus den Seeigeln ausgelaufen ist und ihren Stacheln übersäht. Aufwand und Ertrag lohnt sich definitiv nicht.

Oktober, Petit St. Vincent

Wir liegen dann noch einen ganzen Tag und eine Nacht länger in Anse la Roche, bis Alex den Wackelkontakt gefunden und behoben hat und wir klar Schiff machen können. Am Morgen setzen wir Segel, nehmen Kurs auf Union Island, wenden kurz davor, segeln zwischen Petite Martinique und einer winzigen, unbewohnten Insel vorbei auf den Atlantik hinaus. Hier werden die Wellen grösser und länger, doch Mabul segelt tadellos mit sechs bis acht Knoten und ruhigem Gemüt. Wir segeln um Petite Martinique und um die kleine, private Insel Petit St. Vincent, auf der einzig ein Luxusresort steht, herum. Vom Meer her sehen wir die großen Bungalows, von denen das kleinste über 1000 US-Dollar die Nacht kostet. Die beiden Inseln liegen in nächster Nähe voneinander, gehören jedoch anderen Ländern an. Petite Martinique gehört zu Grenada, Petit St. Vincent zu St. Vincent and the Grenadines.

Umbrella Island, der Name ist Programm

Als wir auch Petit St. Vincent umrundet haben, sehen wir auf die wohl kleinste Insel mit Sonnenschirm der Welt: Umbrella Island oder Morpion. Nicht viel mehr als ein Sandhaufen mit einem Sonnenschirm darauf, umspült und umwirbelt vom Meer. Wir fahren an den Sandbänken vorbei und werfen neben Umbrella Island den Anker. Nach einer kleinen Dinghy-Fahrt erreichen wir die Insel, ziehen das Dinghy auf den Sandhaufen, der selbst nicht viel grösser ist als unser Beiboot. Alex fliegt die Drohne – Fotos dazu in unserer Galerie – und wir bestaunen das türkisfarbene Meer, in das wir kurz darauf eintauchten. Noch nie, seit wir in der Karibik angekommen sind, haben wir das Meer so klar und erfrischend erlebt wie hier. Von der Insel aber wird wohl bald nichts mehr zu sehen sein. Der Sonnenschirm steht bereit halb im Wasser, das unermüdlich und mit jeder Welle etwas mehr Sand wegspült.

Wie lange dieser kleine Fleck wohl noch existieren wird?

Nach unserem kleinen Ausflug nach Umbrella Island fahren wir mit dem Motor nach Petite St. Vincent und werfen vor dem Luxusresort den Anker. Das Meer ist hier erstaunlich ruhig und die Strömung hält das Schiff in einer Linie.

Unweit von uns entfernt ankern auch Amy und Steve, unsere neuen Freunde aus Alaska, die wir in Anse la Roche kennen gelernt hatten. Am nächsten Tag machen wir gemeinsam einen Ausflug auf die Nachbarinsel Petit St. Martinique. Vom kleinen Fischerhafen steigen wir den Hügel hoch, erreichen den Funkturm, verirren uns dann aber im Dschungel. Im Unterholz stoßen wir auf Schildkröten, so groß wie mein Unterarm, die flink über Äste klettern und sich schließlich aus dem Staub machen.

Ein weiteres kulinarisches Abenteuer: Meeresschnecken.

Für den Nachmittag steht ein weiteres kulinarisches Experiment an. Steve, der in Alaska Jagdexpeditionen in abgelegene Regionen geleitet hat, zeigt mir, wie man Meeresschnecken aus ihren Muscheln holt. Das Gericht, das hier überall «Lambi» heißt, steht in vielen der lokalen Restaurants auf dem Menüplan. Doch die Meeresschnecken aus ihren Muscheln zu holen, erweist sich als weit aus schwieriger als erwartet. Die Schnecken saugen sich an der Innenwand ihrer Muscheln fest und auch wenn wir ein Loch in die Muschel schlagen und die Schnecken mit Draht und Zange rauszuholen versuchen, bleiben sie lange hartnäckig in ihrem Haus kleben. Es dauerte lange, bis wir die Schnecke herausziehen können und als sie schließlich vor uns liegen, schauen sie uns mit langen Stilaugen an, so dass wir sie schnell zerlegen. In den Schneckenkörpern stoßen wir auf durchsichtige Röhrchen, die von den Einheimischen als Aphrodisiaka gegessen werden und den Schnecken bei der Verdauung helfen. Die Röhrchen schmecken nach nichts und ihre spezielle Wirkung gehört wohl auch in den Bereich der Mythen und Legenden….Das Curry, das Steve aus den vier Schnecken zubereitet, schmeckt jedoch vorzüglich. Alex, der solche kulinarischen Abenteuer als Vegetarier meidet, gibt es ein Kichererbsen Curry.

Oktober Tobago Cays – Salt Whistle Bay

Nach Petite St. Vincent segeln wir die kurze Etappe von zwei Seemeilen zu den Tobago Cays, einer Ansammlung von ein paar kleinen Inselchen und ein begehrtes Touristenziel. Viele der Bojen sind belegt von Charterbooten, meist Katamaranen. Die Hurrikan-Saison kommt langsam zu einem Ende und damit beginnt die Touristensaison…

Tabago Cays, das Paradies der Meeresschildkröten

Wir legen uns an eine Boje, bezahlen die 45 EC pro Nacht plus National Park Gebühren und springen ins Wasser. Die Tobago Cays sind bekannt für ihre große Zahl von Meeresschildkröten und tatsächlich vergehen keine fünf Minuten und die erste schwimmt bereits unter uns vorbei. Weitere folgen, kleine und große, und alle unbeeindruckt von den zwei Schnorchlern, die sie beobachten. Die Schildkröten fressen gemütlich ihr Seegras oder schwimmen an die Oberfläche, um kurz Luft zu holen. Auch ein Stachelrochen kommt unseres Weges und verschwindet dann wieder im tiefen Blau des Meeres.

Kaum sind wir wieder an Bord, fährt ein Dinghy direkt auf uns zu. Es sind Martin und Riki aus Süddeutschland mit ihrem Baby und ihrer zweieinhalb-jährigen Tochter Kira, die Alex bereits aus seiner Zeit in der Benji Bay kennt. Die beiden sind seit vier Jahren mit ihrem Segelboot oder eher mit ihren Segelbooten – sie haben über die Jahre und mit der zunehmenden Anzahl Kinder, ihre Boote verkauft, um größere zu kaufen – unterwegs. Die beiden strahlen so viel Ruhe und Gelassenheit aus, wie ich das nur von Menschen kenne, die einfach und in direktem Kontakt mit der Natur leben. Auch Martin und Riki werden bald ausführlich in der Episode 16 unseres BoatCasts zu Wort kommen. Ihr Blog findet ihr auf www.ahoi.blog.

Am zweiten Tag schnorcheln wir über ein Riff vor der winzigen Nachbarinsel, sehen einen großen Hummer unter einem Stein, zwei gewaltige Triggerfische, denen wir schnell aus dem Weg gehen, die uns mit ihren Glubschaugen anschauen und eine ganze Zahl von kleineren und größeren Meeresbewohnern. Trotz der Vielzahl an Touristen scheint hier das Ökosystem noch in Balance zu sein.

Unsere Bar für die kommenden Regentage?

Da die Wettervorhersage mehr Wind und Regen prognostiziert, segeln wir nach zwei Nächten in den Tobago Cays weiter. Auf der Suche nach Schutz vor Wind und Unwetter werfen wir in der Salt Whistle Bay auf der Insel Mayreau Anker. Am Strand der Bucht bieten lokale Verkäuferinnen farbige Tücher zum Verkauf, ein Fischer, der mit seinem Motorboot durch die Bucht fährt, bietet einen Hummer feil, ein anderer verlangt nach einem Schluck Rum und zeigt uns seine Kollektion aus Pottwalfischzähnen und geschnitzten Kokosnüssen. Die Bucht ist wunderbar geschützt und ruhig und der Strand ist nur von einer Reihe winziger Bars gesäumt, die im Rastalook gehalten und mit Aufschriften wie «Thank you for pot smoking» zum Müßiggang einladen. Die Tiere am Strand – ein kleines Zicklein, mehrere junge Hunde und Katzen – scheinen ebenfalls high zu sein und sind so zutraulich, dass das Zicklein selbst dann nicht weicht, als ich ihm die Katze auf den Rücken setzte. Hier werden wir nun ein paar Tage bleiben, Sturm und Regen trotzen und durch das klare Wasser der Bucht schwimmen.

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Veröffentlicht von Karin

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